Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) hat Unions-Ministerpräsidenten im Streit über die Gesundheitsreform vorgeworfen, die Handlungsfähigkeit der Bundesregierung zu gefährden. Einzelne Regierungschefs würden sich "offensichtlich in Verkennung ihrer Funktion" zu einem nicht angemessenen Zeitpunkt in die Diskussion einmischen. "Wer Respekt hat vor den Entscheidungsgremien der Demokratie, der muss auch dafür sorgen, dass die Bundesregierung und der Bundestag entscheiden können, ohne dass vorher der Bundesrat schon in die Meinungs- und Entscheidungsbildung sich einmischt", sagte der Bundesarbeitsminister am Sonntag im Deutschlandfunk.
"Wir können nicht erwarten, dass Bundesregierung und Bundestag und Bundesrat, bevor sie in die Gesetzgebung gehen, alles miteinander vereinbaren. Das wäre sozusagen der ganz, ganz große Vermittlungsausschuss vorne vorweg", sagte Müntefering. Vor allem von Unions-Ministerpräsidenten kommt zum Teil scharfe Kritik an den Eckpunkten der großen Koalition für die Gesundheitsreform.
Nicht ganz glücklich bewegt
Müntefering räumte ein, Schwarz-Rot habe sich bei der Gesundheitsreform "nicht ganz glücklich bewegt". Zur Zeit sei die Koalition "sicher in einer schwierigen Phase". Er halte den Streit aber "nicht für eine Existenzfrage der Koalition". Jetzt komme es darauf an, in den nächsten Tagen und Wochen - "das darf nicht allzu lange dauern" - zu Ergebnissen zu kommen. Dabei seien die zwischen Union und SPD vereinbarten Eckpunkte "alle gleich wichtig". Die Reform sei unverzichtbar. Andernfalls laufe "die Kostenlawine im Gesundheitswesen auf eine Explosion" hinaus.
Die Ein-Prozent-Grenze bei den geplanten Zusatzbeiträgen der Versicherten bezeichnete Müntefering als eine "feste Größe" für die SPD, die vereinbart und angemessen sei. Die Krankenkassen sollten nach der Reform ihre Beiträge so verwenden, dass diese Überforderungsklausel nach Möglichkeit überhaupt nicht in Anspruch genommen werden müsse. Bei der Frage der Praktikabilität dieser Regelung gehe es nur noch darum, wer das Geld einziehe und wie die Klausel organisiert werde. Zugleich stellte sich Müntefering hinter Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). Ihr Ministeramt sei "überhaupt nicht" gefährdet. "Sie hat auch unser volles Vertrauen."
Mehr Steuermittel für die Kassen?
SPD-Generalsekretär Hubertus Heil hat den Vorstoß von Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) zu einer stärkeren Steuerfinanzierung der Krankenkassen im Rahmen der Gesundheitsreform begrüßt. "Dieser Vorschlag weist in die richtige Richtung", sagte Heil. Böhmer hatte der Zeitschrift "Super Illu" zum Streit über die Sozialklausel gesagt, falls die SPD auf der vereinbarten Ein-Prozent-Grenze bestehe, "müssen wir das akzeptieren - und gemeinsam klären, an welchen Stellschrauben gedreht werden kann, um das Problem zu lösen, etwa in Form von Zuschüssen aus Steuermitteln".
Dmenti: Nicht Brutto statt Netto
Zugleich bekräfte Heil: "Ein Aufweichen der Überforderungsklausel von einem Prozent wird es mit der SPD nicht geben. Anders lautende Meldungen sind falsch." Er wies damit nach Angaben der SPD einen Bericht der "Bild am Sonntag" zurück, wonach die SPD-Spitze der Union hier einen Kompromiss anbieten wolle. Nach Angaben des Blattes sollte sich die Ein-Prozent-Klausel künftig auf das Bruttoeinkommen beziehen - statt wie bisher geplant auf die Nettobezüge.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Nach den bisherigen Plänen der Koalition sollen Krankenkassen von ihren Mitgliedern Zusatzbeiträge fordern können, wenn sie mit dem Geld aus dem geplanten Gesundheitsfonds nicht auskommen. CDU, CSU und SPD hatten gemeinsam beschlossen, dass dieser Zusatzbeitrag höchstens ein Prozent des Haushaltseinkommens betragen darf. Nachdem vor allem Unions-Ministerpräsidenten diese Regelung in Frage stellten, soll sie nun von unabhängigen Experten überprüft werden.