Glyphosat-Entscheidung Renate Künast warnt davor, weiter auf Glyphosat zu setzen: "Das wird sich am Ende rächen"

Renate Künast.
Renate Künast: "Auf alle Fälle weiß ich, dass ich so lange kämpfe, bis es ein Verbot gibt."
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Seit Jahren kämpft die Grünen-Politikerin Renate Künast für ein Verbot von Glyphosat – heute könnte es soweit sein. Im Interview schickt sie einen Appell an die FDP.

Fast überall auf der Welt nutzen Landwirte Glyphosat, um ihre Ackerflächen von Unkraut zu befreien. In Deutschland wurden pro Jahr zuletzt rund 4.000 Tonnen davon versprüht. Der US-Saatgutkonzern Monsanto, der heute zu Bayer gehört, hat das Mittel in den Siebzigerjahren auf den Markt gebracht, inzwischen wird es von vielen Unternehmen verkauft. Es ist ein Milliardenmarkt. Doch das Pflanzenschutzmittel ist umstritten.

Für die EU steht jetzt – mal wieder – eine wichtige Glyphosat-Entscheidung an: Wird sie die Nutzung weiterhin erlauben? Die aktuelle Zulassung läuft am 15. Dezember aus, die EU-Kommission will sie um zehn Jahre verlängern. Am Freitag stimmen die Mitgliedsstaaten darüber ab.

Renate Künast ist eine derjenigen, die hoffen, dass die Mitgliedsstaaten dieses Mal gegen die Zulassung stimmen. Die Grünen-Politikerin war von 2001 bis 2005 Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, jetzt leitet sie die AG Ernährung und Landwirtschaft im Bundestag. Seit Jahren setzt sie sich für ein Verbot von Glyphosat ein.

Wie oft haben Sie beim Thema Glyphosat schon vergebens gehofft?
Ich habe vorgezogen, nicht zu zählen. In der Abstimmung am heutigen Freitag setze ich darauf, dass die Zulassung nicht durchgehen wird. Auf alle Fälle weiß ich, dass ich so lange kämpfe, bis es ein Verbot gibt.

Warum überhaupt? Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sagt doch: Der Einsatz von Glyphosat birgt keine inakzeptablen Gefahren. 
Das ist ein Scheinargument. In Wirklichkeit ist es so: Die EFSA hat viele Fragen nicht ausreichend geklärt, die Datenlücken benennt sie in ihrem Bericht aus dem Juli sogar. Mit so wenig Wissen aber kann man nicht ernsthaft ein solches Totalherbizid – also ein Mittel, das jede Pflanze tötet – zulassen. Das ist nicht mit dem Vorsorgeprinzip vereinbar, welches im EU-Recht festgelegt ist. 

Ein Landwirt verteilt mit seinem Traktor Pflanzenschutzmittel auf einem Feld.
Ein Landwirt verteilt mit seinem Traktor Pflanzenschutzmittel auf einem Feld: "Die Böden haben irgendwann einen Kipppunkt erreicht", sagt Renate Künast.
© K. Schmitt/Fotostand / Imago Images

Es besagt, dass eine Maßnahme nicht durchgeführt werden darf, wenn sie der Allgemeinheit oder der Umwelt Schaden zufügen kann – und es keinen wissenschaftlichen Konsens zu dem Thema gibt. 
Genau. 

Wie kann es sein, dass es diesen Konsens bis heute nicht gibt? 
Es gab in den letzten Jahren immer wieder Hinweise darauf, dass das Mittel krebserregend sein könnte. Dazu gibt es auch genügend Verfahren vor US-Gerichten. Es geht bei der Untersuchung auch darum, den Stoff nicht allein zu betrachten, sondern in der Zusammenwirkung mit allen Wirkstoffen im Endprodukt. Das hat die EU so bislang nicht untersuchen lassen. Und neueste Studien nicht berücksichtigt.

Aber woran liegt das? Daran, dass starke wirtschaftliche Interessen dahinterstecken?
Das muss wohl so sein. Die EU-Kommission will Glyphosat jetzt für zehn weitere, lange Jahre zulassen. Gleichzeitig gibt sie nicht den Auftrag, zu erforschen, wie sich das Mittel in der konkreten Anwendung auf die Umwelt auswirkt. Wozu sie seit 2009 aber die Pflicht hat. Ich sehe da eine Verhinderungsstrategie. Damit tut sie nur jenen einen Gefallen, die damit kurzfristig Geld verdienen wollen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Viele Landwirte argumentieren, sie seien darauf angewiesen, Glyphosat einsetzen zu können – Alternativen seien auch nicht unbedingt besser. Würden sie mehr pflügen, um den Acker vor der Aussaat zu bereinigen, gäbe es mehr Bodenerosion. Auch kostet es Zeit und Treibstoff. Was sagen Sie ihnen?
Die Debatte ist nicht einfach, das weiß ich. Aber ich weiß auch, dass wir sie schon seit Jahrzehnten führen. Es kann nicht sein, dass wir die gesundheitlichen Gefahren einfach hinnehmen und die Artenvielfalt ignorieren. Das wird sich am Ende rächen. Wir können nicht einfach immer mehr Chemie anwenden, die Böden haben irgendwann einen Kipppunkt erreicht. Das wird am Ende auch den Bauern schaden.

Das hilft ihnen in der konkreten Situation vermutlich wenig. Wie genau müssten die Landwirte bei der Umstellung unterstützt werden?
Wir könnten die EU-Subventionen umbauen, sodass diejenigen, die durch ein Verbot besondere Nachteile haben, kompensiert werden. Wenn Landwirte weniger Herbizide einsetzen, ist das schließlich eine ökologische Dienstleistung auch für die ganze Gesellschaft. Das muss honoriert werden.

Egal wie die EU-Entscheidung ausgeht, SPD, Grüne und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, Glyphosat "bis Ende 2023 vom Markt" zu nehmen. Für den Fall, dass die EU anders entscheidet – wie soll dann so ein deutscher Alleingang aussehen?
Für meine Begriffe heißt das als Allererstes: Wer das so im Koalitionsvertrag vereinbart, muss auf EU-Ebene auch mit "Nein" stimmen. Das erwarte ich auch von unseren beiden Koalitionspartnern.

Sie spielen auf die FDP an, die den Vorschlag der EU-Kommission begrüßt hat. Unter anderem Verkehrsminister Volker Wissing und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger werben für die weitere Verwendung von Glyphosat. 
Das hab ich gehört, doch ich erwarte, dass Deutschland heute mit "Nein" stimmt. Ich erwarte, dass der Vorschlag der EU-Kommission insgesamt abgelehnt wird.