Klare Vorgaben und Fristen sollen Versäumnisse aller Seiten bei der Integration in Deutschland beheben. Bessere Bildung, mehr Deutschkenntnisse, verstärkte Anerkennung ausländischer Schulabschlüsse - möglichst konkret soll sich der vierte Integrationsgipfel bei Kanzlerin Angela Merkel auswirken. So wünscht es sich die Integrationsbeauftragte Maria Böhmer (CDU). Dieser Pragmatismus steht nach Ansicht von Migrantenverbänden aber in scharfem Gegensatz zur hitzigen Debatte dieser Tage.
So erinnern rund 650 Deutsche mit türkischen Wurzeln in einem mahnenden offenen Brief an die Gewalt gegen Ausländer, die nach der Asyldiskussion der 90er Jahre aufgeflammt ist. "Wir alle fühlen uns durch die derzeitige Diskussion diskreditiert." Die Diskussion über Defizite und Sanktionen empfinden sie als kontraproduktiv.
Einige Adressaten des Briefs sind klar: So hatte CSU-Chef Horst Seehofer vor einem Monat gesagt, "dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen". Aber meinen die Türkischstämmigen auch Merkel? Pünktlich zum Gipfel betont sie, dass Integration "manchmal auch gar nicht versucht wird". Oder den Innenminister? Auf Initiative von Thomas de Maizière (CDU) hatte das Kabinett vor einer Woche unter anderem eine stärkere Kontrolle der Teilnahmepflicht von Zuwanderern an Integrationskursen beschlossen.
Bereits zuvor hatte Maizière von 10 bis 15 Prozent Integrationsverweigerern gesprochen - doch die Zahlen sind umstritten. So nimmt die Opposition einen Zeitungsbericht als Steilvorlage, der Minister halte genaue Zahlen zu dem Thema unter Verschluss. "Das ist unseriös", sagt SPD-Fraktionsvize Olaf Scholz.
Fakt ist: Vergangenes Jahr verpflichteten die Ausländerbehörden 2482 Zuwanderer, die schon länger in Deutschland sind, zu Integrationskursen - 99 Prozent nahmen nach einer Statistik des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge teil. Solche Daten stehen in krassem Gegensatz zur zunächst von Ex-Bundesbanker Thilo Sarrazin befeuerten Debatte über angeblich mangelnde Bereitschaft und Fähigkeit von seit Jahren in Deutschland lebenden Migranten.
Bei den Neuzuwanderern lag die Teilnahmequote bei 80 Prozent - triftige Gründe wie Krankheit, Schwangerschaft oder Job-Aufnahme könnten neben Motivationsmängel die Ursache sein, so die Behörde. Insgesamt gingen die Teilnahmequoten laut der Statistik seit 2005 deutlich nach oben.
2011 plant die Regierung nach einer Antwort an die Grünen unverändert rund 218 Millionen Euro für die verschiedenen Integrationskurse an - obwohl in diesem Jahr bereits Ende September 201 Millionen aufgebraucht waren. Dabei stehen rund 10 000 Menschen seit Herbst auf Wartelisten bei freiwilligen Kursen, weil für den Unterricht nicht genug Geld da sei, wie Volkshochschulen und andere Bildungsträger warnen.
Merkel schlägt jetzt versöhnliche und kritische Töne an: "Hunderttausende von Menschen aus aller Welt leben gut integriert unter uns und mit uns", sagt die Kanzlerin. "Aber es gibt auch noch jede Menge Nachholbedarf bei der Integration."

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Passieren soll jetzt Folgendes: mehr Sprachförderung in Kindergärten, Individualförderung in Schulen, mehr Engagement in sozialen Brennpunkten. Es sollen exakte Integrationsziele festgestellt werden, Mittel, diese zu erreichen, Fristen zur Prüfung. Rund 300 000 Zuwanderer sollen gewonnen werden durch die geplante bessere Anerkennung ausländischer Abschlüsse - schließlich sieht auch Merkel die Frage von Fachkräftezuwanderung auf der Tagesordnung, selbst wenn sie das von der FDP gewollte Punktesystem ablehnt.
Streit gibt es auch beim Kernthema Bildung. Die Bundesregierung wirft den Ländern zu geringe Anstrengungen vor. "Die Länder haben uns zugesagt, dass der Anteil der Schulabbrecher bei ausländischen Kindern auf das Niveau gesenkt werden soll wie bei deutschen Kindern", sagt Böhmer. Die Quote betrage aber bei Zuwandererkindern noch 13 Prozent, bei deutschen Kindern nur 7 Prozent.