stern-Chefredakteur Alles wird teurer – werden wir abgezockt? Gregor Peter Schmitz über den aktuellen stern

stern Titel zu Inflation
Der aktuelle stern-Titel widmet sich dem Thema Inflation 
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Im aktuellen stern folgen stern-Reporter den Spuren der Krisen-Profiteure: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz wirft im Editorial einen Blick in das aktuelle Magazin.

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Witz ist abgedroschen, ich weiß, aber angesichts meines Schockzustands hoffe ich auf mildernde Umstände. Als ich am Osterwochenende nichts ahnend ein Eislokal betrat und es ans Bezahlen ging, erschien mir die geforderte Summe derart astronomisch, dass ich nur noch stammeln konnte: "Den Laden wollte ich eigentlich nicht kaufen." 2,20 Euro wurden für jede Kugel aufgerufen. Entgeistert blickte ich auf unsere sieben Monate alten Zwillinge im Kinderwagen vor mir. Derzeit kann man sie noch mit Milch abspeisen, manchmal mit Brei; nach Eis schreien sie noch nicht. Wie (teuer) soll das erst in einem Jahr werden?

Gewiss, der Eislokalbesitzer konnte alle möglichen Gründe für die Preiserhöhung nennen: der explodierte Preis für Zucker, der für Eiswaffeln, gar für ein mir bislang völlig unbekanntes, aber offenbar unerlässliches Bindemittel namens Johannisbrotkernmehl. Und dann erst die höheren Kosten für Strom, Lohn, Miete … Nein, natürlich nutze er die Lage nicht aus, um an diesem sonnigen Osterwochenende seine Marge zu erhöhen.

Die Worte hörte ich wohl, allein es fehlte mir der Glaube, wie vielen preisgeplagten Deutschen. Um über 20 Prozent sind allein Lebensmittel im Schnitt in einem Jahr teurer geworden. Unser Titelteam um Stefan Schmitz schreibt: "Seit drei Jahren geht das so. Auf Krise folgt Krise, auf Pandemie Krieg, auf Lieferschwierigkeiten in Asien die Warenknappheit bei uns. Immer – oder zumindest fast immer – gehen die Preise hoch. Aber wer steckt sich das Geld ein? Und kann es sein, dass wir abgezockt werden, wenn wir einfach hinnehmen, was auf den neuen Preisschildern steht?"

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Unser wichtigster Partner bleiben die USA, erst danach kommt Frankreich

Es klang so harmonisch: Ursula von der Leyen, EU-Kommissionspräsidentin, und Emmanuel Macron, französischer Staatspräsident, wollten gemeinsam nach Peking reisen – um europäisch einig aufzutreten. Die Reisedetails fielen dann doch unterschiedlich aus: Von der Leyen musste Linie fliegen, sie bekam von den Chinesen einen Händedruck und ein kurzes Treffen. Macron jettete in seiner prunkvollen Präsidentenmaschine ein, er wurde mit militärischen Ehren empfangen und saß rund vier Stunden ganz allein mit Präsident Xi zusammen, gemütlich beim Tee. Während von der Leyen danach ziemlich kühl über Chinas Rolle etwa im Ukrainekonflikt sprach, zeigte sich Macron außerordentlich verständnisvoll gegenüber den Chinesen. Er führte gar aus, Europa müsse strategisch unabhängig werden von den Amerikanern und dürfe sich von denen nicht in Konflikte wie den um Taiwan verstricken lassen, die Europa nichts angingen.

Solche Sätze sagen französische Präsidenten seit Charles de Gaulle. Wir Deutsche waren immer gut beraten, sie einzuordnen: Unser wichtigster Partner bleiben die USA, erst danach folgt Frankreich. Anfang Juli will Macron nach Berlin zum Staatsbesuch kommen. Dann wird Bundeskanzler Olaf Scholz ihm dies persönlich sagen, hoffentlich.

Stefan Wolf ist als Chef von Gesamtmetall oberster Vertreter der Metall-Arbeitgeber, ein lautstarker noch dazu. So riet er Arbeitnehmern in Interviews, bloß nicht mehr Lohn zu verlangen, Inflation hin oder her – und bis 70 arbeiten müssten die Leute bitte schön auch. Für sich selbst scheint Wolf weniger strenge Maßstäbe anzulegen, seine Putzhilfe etwa soll er nach stern-Recherchen jahrelang schwarz beschäftigt haben, deswegen läuft gegen ihn ein Verfahren bei der Staatsanwaltschaft Tübingen. Nun wurde bekannt, dass Wolf, 61, seinen langjährigen Job als Chef des Autozulieferers Elring-Klinger abgeben wird – und vielleicht bald auch sein Spitzenamt beim Arbeitgeberverband? Schuld seien die laufenden Ermittlungen natürlich nicht, betont Wolf. Vielleicht haben sie aber einfach gezeigt, dass nicht jeder bis 70 geeignet ist für Führungsjobs?

Herzlich Ihr,

Gregor-Peter Schmitz

Erschienen in stern 16/2023