Integrationsdebatte Bürger sehen Muslime skeptisch

Eine Umfrage heizt die Integrationsdebatte an: Laut "BamS" glauben 59 Prozent der Bürger nicht, dass hier lebende Muslime bereit sind, das Grundgesetz zu akzeptieren. Und das ist nicht alles.

Das Bild, das die Bürger von in Deutschland lebenden Muslimen haben, ist einer Umfrage der "Bild am Sonntag" zufolge von großen Sorgen und Skepsis geprägt. Demnach glauben 59 Prozent der Befragten, dass hier lebende Muslime nicht bereit sind, das Grundgesetz zu akzeptieren (Gegenstimmen: 32 Prozent). Und nicht weniger als 68 Prozent trauen es Einwanderern aus islamischen Ländern nicht zu, in "absehbarer Zeit gut deutsch" zu sprechen (Gegenstimmen: 28 Prozent). Den höchsten statistischen Ausschlag weist die Frage auf, ob die Mehrheit der Muslime in Deutschland bereit sei, die Gleichberechtigung der Frau im Alltag zu akzeptieren. 71 Prozent der Befragten verneinten dies, 25 Prozent antworteten mit Ja. Eine große Mehrheit von 69 Prozent sprach sich schließlich dafür aus, die Türkei nicht in die Europäische Union aufzunehmen (Gegenstimmen: 27 Prozent).

CSU-Chef Horst Seehofer griff in einem Interview mit dem "Focus" diese Stimmungslage auf und sagte: "Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun. Daraus ziehe ich auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Einwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen." Seehofer empfahl, sich stattdessen um die bereits in Deutschland lebenden Muslime stärker zu kümmern - sagte aber auch, dass "80 bis 90 Prozent" der Einwanderer bereits gut integriert seien. Dieser Befund steht wiederum im scharfen Kontrast zu dem Misstrauen, das die Bürger in der "BamS"-Umfrage formulierten.

Erdogan und Merkel

Die politischen Gespräche, die Kanzlerin Angela Merkel am Samstag mit dem türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan waren offiziell freundlich, förderten aber auch Widersprüche zutage. Erdogan warb um Unterstützung für die Aufnahme seines Landes in die EU, Merkel sprach von einem "ergebnisoffenen Prozess". Zur Integration sagte Erdogan: "Ich bin selbstverständlich dafür, dass sich die Menschen hier in Deutschland integrieren - für ihr eigenes Glück". Andererseits lehnte er eine "Assimilation", also eine vollständige kulturelle Anpassung, abermals radikal ab. Das sei ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Diese juristische Definition wurde in Deutschland zuletzt bei den Nürnberger Prozessen gegen Nazi-Verbrecher benutzt.

Seehofers Äußerungen zogen viel Kritik auf sich. Lasse Becker, Chef der Jungen Liberalen, nannte sie "unsinnig" und sagte: "Manchmal habe ich den Eindruck, Seehofer stammt selbst aus einem anderen Kulturkreis." Grünen-Fraktionschefin Renate Künast meinte, der bayerische Ministerpräsident gebe "mal wieder den Rechtspopulisten". Eher unterstützend äußerte sich Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). In der "Welt am Sonntag" sagte er: "Der Islam muss erst einmal den Herausforderungen eines säkulären Staates im 21. Jahrhundert gerecht werden und sich zu einer Religion wandeln, die mit der Moderne kompatibel ist." Familienministerin Kristina Schröder beklagte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" die "Deutschenfeindlichkeit" an Berliner Schulen. Diese habe auch sie selbst schon zu spüren bekommen. Nach islamkritischen Äußerungen sei sie als "deutsche Schlampe" beschimpft worden.

Sarrazins Buch über Million-Grenze

Von der anhaltenden Debatte um muslimische Einwanderer profitiert direkt und unmittelbar der ehemalige Finanzsenator und Bundesbankvorstand Thilos Sarrazin. Von seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" waren Anfang Oktober bereits mehr als eine Million Exemplare gedruckt - der Autor selbst dürfte inzwischen zum Millionär geworden sein, weil er zirka zehn Prozent des Ladenverkaufspreises als Honorar behalten darf. Das Buch ist bei der Deutschen Verlagsanstalt erschienen, einer Tochter des Konzerns Random House, der wiederum zum Medienhaus Bertelsmann gehört. Bertelsmann ist auch Eigner von Gruner + Jahr, dem Verlag des stern. Inhaltlich hat Sarrazin einen überraschenden Fürsprecher gefunden: Der Sozialhistoriker Ulrich Wehler sprach sich in der "Zeit" dafür aus, sich nicht allein an den den zweifelhaften Vererbungsthesen abzuarbeiten, sondern den sozialkritischen Gehalt des Buches ernst zu nehmen.

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