Vor ein paar Tagen demonstrierten in Berlin mal wieder ein paar hundert Menschen gegen Israels Gaza-Operation. Einer der Demonstranten sagte: "Die Leute in Deutschland haben zuviel Angst, was gegen Israel zu sagen." Ein Satz, der häufig fällt auf pro-palästinensischen Demonstrationen. Er beschreibt ein Gefühl, das weit verbreitet ist. Die Frage "Darf man Israel nicht kritisieren?", bringt 12.000 Google-Treffer. Oft heißt es: Die Medien sind schuld. "Sie sehen doch, dass die Feinde Palästinas die deutschen Medien unter Kontrolle haben!", brüllte ein Sprecher der Quds-Demo vor einer Woche über die Köpfe der Demonstranten.
Eine Studie kommt jedoch zu einem ganz anderen Schluss. Seit zehn Jahren erforscht Monika Schwarz-Friesel, Leiterin des Fachgebietes Allgemeine Linguistik an der TU Berlin, die deutsche Berichterstattung über den Nahost-Konflikt. Bis 2017 soll das Projekt noch laufen, erste Ergebnisse hat Schwarz-Friesel aber jetzt schon ausgegeben. Das überraschendste davon: Kein anderes Land der Welt wird in deutschen Medien so oft und scharf kritisiert wie Israel.
Das Forscher-Team um Schwarz-Friesel untersucht, wie oft bestimmte negative Begriffe und Wendungen in Artikeln über Israel vorkommen, etwa Ausdrücke wie "Verbrecherstaat" und "Unrechtssystem", Vergleiche mit Nazi-Deutschland und Superlative wie "der schlimmste" und "die größte Gefahr für den Weltfrieden". Zum Vergleich werten die Linguisten Artikel über Konflikte und Menschenrechtslagen in anderen Ländern aus, darunter Russland, Nordkorea und Saudi-Arabien. Keines von ihnen kam so schlecht weg wie Israel. "Hier hat sich in den letzten Jahren wiederholt gezeigt, dass im deutschen Kommunikationsraum ein extrem einseitiges und sehr negatives Israel-Bild vermittelt wird", stellt Schwarz-Friesel fest.
In deutschen Medien tauchen Israelis meist neben aggressiven Verben auf: zerstören, angreifen, befehlen
Zudem analysierten die Forscher 400 Schlagzeilen deutscher Zeitungen während des Gaza-Konflikts 2012 und der aktuellen Operation. Das Ergebnis: In 75 Prozent der Fälle wurde Israel als der die treibende Kraft des Konflikts gezeichnet. Nun ließe sich einwenden, Israel sei die stärkere der beiden Parteien und deshalb doch tatsächlich meist der lenkende Akteur. Doch die Forscher stellten fest, dass Israel selbst dann oft als der aktive Part gezeichnet wird, wenn es in Wahrheit nur reagiert. So titelte eine deutsche Zeitung während einer früheren Gaza-Kampagne: "Israelischer Raketenangriff" - dabei hatten sich zuvor Palästinenser auf israelisches Militärgelände geschlichen und zwei Soldaten erschossen.
Dazu passt, was Schwarz-Friesel bereits 2013 in einem Buch beschrieb: In Artikeln über den Nahost-Konflikt tauchen Israelis vorwiegend im Zusammenhang mit Verben auf, die Macht und Aggression ausdrücken: "kontrollieren, zerstören, angreifen, schicken, befehlen, konfiszieren".
Die Studie widmet sich dem Blick deutscher Medien auf Nahost; den Streit darüber, was tatsächlich dort geschieht, den Streit um Ursache und Folge, um Täter und Opfer berührt sie nicht. Er wird weitergehen, in deutschen Talkshows und Zeitungen, auf den Straßen, in der Kneipe und auf Facebook. Diejenigen, die die Palästinenser in erster Linie als Opfer sehen, könnten mit dem Ergebnis der Studie eigentlich zufrieden sein. Nur von einer Idee müssten sie sich verabschieden: der beliebten Behauptung, man dürfe in Deutschland "nichts gegen Israel sagen".