US-Zwischenwahlen Die "Big Lie" lebt: Die Saat von Trumps Wahllüge droht bei den Midterms aufzugehen

Ex-US-Präsident Donald Trump und Kandidatin Kari Lake
Ex-US-Präsident Donald Trump und Gouverneurskandidatin Kari Lake: Die frühere TV-Moderatorin hat durchblicken lassen, dass sie eine Wahlniederlage wohl nicht akzeptieren würde.
©  Mario Tama / Getty Images / AFP
Mehr als die Hälfte der Republikaner hängt weiter Donald Trumps Mär von der "gestohlenen Wahl" 2020 an. Das könnte fatale Folgen für die US-Demokratie haben. Viele konservative Kandidaten bei den Midterms deuten an, eine Wahlniederlage nicht zu akzeptieren.

Es klang wie ein Versprechen. Die Menge vor dem Redner registrierte sie erfreut, fand offenbar auch nichts weiter dabei. Sollte er gewählt werden, sagte Tim Michels, republikanischer Kandidat für den Gouverneursposten im US-Staat Wisconsin, dann werde seine Partei in diesem Staat "nie wieder eine Wahl verlieren".

Für diejenigen, die sich um den Zustand der Demokratie in den USA sorgen, klingt das wie eine Drohung. Denn Tom Michels ist ein Protegé von Donald Trump. Er vertritt dessen Narrativ, dass Trump die Wahl 2020 "gestohlen" worden und Joe Biden kein rechtmäßig gewählter Präsident sei. Alle Versuche, einen Wahlbetrug nachzuweisen oder gar zu konstruieren, schlugen bekanntlich fehl.

Donald Trump: "Krebs ins Wahlsystem injiziert"

Doch Konservative wie Tom Michels ficht das nicht an. In Interviews ließ er offen, ob er eine Wahlniederlage gegen seinen demokratischen Konkurrenten Tony Evers bei den Zwischenwahlen am 8. November anerkennen würde. Und er erzeugte den Eindruck, dass er als gewählter Gouverneur den Sieg eines demokratischen Präsidentschaftskandidaten in seinem Staat womöglich nicht zertifizieren würde. Das Umfrageportal "FiveThirtyEight" sagt ein äußerst enges Rennen um den Gouverneursposten in Wisconsin voraus, und knappe Wahlausgänge sind prädestiniert dafür, diese anzuzweifeln – begründet oder nicht.

"Der Krebs, den der ehemalige Präsident Trump in unser Wahlsystem injiziert hat, hat sich 2022 auf eine beliebige Anzahl von Kandidaten für wichtige Positionen ausgebreitet", fürchtet Fred Wertheimer. Der 83-Jährige ist Gründer und Chef der gemeinnützigen Organisation Democracy 21, die schon seit 1997 den Einfluss privater Gelder in der US-Politik bekämpft – und sich für eine grundlegende Reform einsetzt. Die Finanzierung des Wahlkampfs ist jedoch auch aus Wertheimers Sicht im Moment nicht das größte Probleme des US-Wahlsystems. "Es besteht die große Gefahr, dass sich die 'big lie' von Trump auf Staaten im ganzen Land ausbreitet", so Wertheimer im britischen "Guardian". Es sei damit zu rechen, dass Wahlverweigerer bei einem knappen Ergebnis eine Niederlage nicht akzeptieren würden.

"Werde die Wahl gewinnen und dieses Resultat akzeptieren"

Mit einiger Sicherheit dürfte das bei Kari Lake der Fall sein. Die frühere TV-Moderatorin ist beinharte Trumpistin. Dass Trump nur aufgrund von Wahlbetrug 2020 verloren hat, ist für sie keine Frage. "Es reicht nicht aus zu sagen, man sei für 'integre Wahlen', wenn man nicht für eine Dezertifizierung der Wahlen 2020 ist, wenn Fehlverhalten, Betrug und andere Ergebnisse aufgedeckt werden", twitterte Lake schon im September 2021 – ungeachtet des Umstands, dass nichts dergleichen aufgedeckt wurde. Gleichwohl ist die Kandidatin für das Gouverneursamt in Arizona ein Shootingstar unter den Republikanern. Der Wahlsieg über die Demokratin Katie Hobbs ist ihr kaum zu nehmen. Und wenn es doch so käme, würde sie das Ergebnis akzeptieren, wollte eine CNN-Moderatorin wissen?

Ich werde die Wahl gewinnen und ich werde dieses Resultat akzeptieren.

Auf eine erneute Nachfrage antwortete Lake mit den gleichen Worten.

Arizona ist Wahlkampfbeobachtern zufolge eine Hochburg für Wahlleugner. Ob Kari Lake oder Senatskandidat Blake Masters oder die konservativen Kandidaten für andere politische Ebenen – sie alle stellen Wahlen als solche infrage. Masters, der gegen den favorisierten Demokraten Senator Mark Kelly antritt und mit einer Niederlage rechnen muss, hat ohne Anlass präventiv Zweifel am Wahlausgang geschürt. Seine Unterstützer:innen sollten nach Tausenden betrügerischer Stimmen Ausschau halten, ließ er laut Medienberichten wissen. Masters bedient sich damit einer Methode, die auch Donald Trump vor den Wahlen 2016 und 2020 nutzte, um die Wahlen zu diskreditieren. Die Liste republikanischer Kandidat:innen, die ähnlich vorgehen oder mehr oder weniger offen sagen, sie würden eine Niederlage nicht einräumen, ist lang.

Wahlbeobachter haben die Midterms im Blick

Die Diskreditierung von Wahlen, das wichtigste Instrument einer Demokratie, ist in den USA inzwischen so weit fortgeschritten, dass international erfahrene Wahlbeobachter sich mit den Midterms beschäftigen. Das Carter Center, eine vom demokratischen Ex-Präsidenten Jimmy Carter und seiner Frau gegründete, aber nach eigenem Verständnis überparteiliche Organisation, hat schon 133 Wahlen in aller Welt beobachtet. Seit den Ereignissen vor und nach der Wahl 2020 beschäftigt sich das Center auch mit US-Wahlen.

Eine bittere Erkenntnis für David Carroll, Direktor des Demokratie-Programms des Centers. In drei Jahrzehnten der Wahlbeobachtung habe sich die Organisation auf Orte konzentriert, "an denen die Demokratie entweder bereit ist, einen Schritt nach vorne zu machen, oder in Gefahr ist, einen Schritt zurück zu machen", erläutert Carroll; ihr Augenmerk auf gespaltene Gesellschaften gelegt, in denen Wahlergebnisse nicht akzeptiert oder als glaubwürdig angesehen werden. Bis vor fünf oder zehn Jahren hätten die Vereinigten Staaten nicht in diese Kategorie gepasst. Doch nun treffe vieles von dem "auch auf uns im Jahr 2020 zu".

Über 100 Kandidaten wollen Ergebnisse anerkennen

Um der Erosion demokratischer Prinzipien entgegen zu arbeiten, hat das Carter Center unter anderem einen Katalog von fünf Grundprinzipien für die Aufrechterhaltung vertrauenswürdiger Wahlen aufgestellt. Dazu zählt die Verpflichtung, sich dem Wahlergebnis zu beugen, sobald das Ergebnis bestätigt wurde. Es gehe nicht darum, Ja und Amen zu sagen, "aber sobald rechtliche Anfechtungen beigelegt und das Ergebnis bestätigt sind", müsse das akzeptiert werden, so Nathan Stock vom Konfliktlösungsprogramm des Carter Centers. Immerhin 129 Kandidat:innen haben sich verpflichtet, darunter auch der republikanische von Georgia, Brian Kemp, und Georgias Innenminister Brad Raffensperger, der Donald Trumps Versuch öffentlich machte, von ihm die Verschiebung der 2020er-Ergebnisse im Peach State zu verschieben.

Doch Raffensperger und Kemp gehören zu einer Minderheit. Laut einer neuen Umfrage für NBC News sind 65 Prozent der republikanischen Wähler:innen immer noch der Ansicht, die Präsidentschaft Joe Bidens sei illegitim. Der versuchte am Mittwoch die Nation mit einer Rede aufzurütteln: "Die Demokratie steht für uns alle auf dem Spiel", beschwor er seine Landsleute "keinen Fehler" zu machen. "Es gibt Kandidaten, für alle möglichen Ämter in den USA, Gouverneure, Abgeordnete, Staatsanwälte, die sich nicht verpflichten wollen, die Ergebnisse der Wahlen, an denen sie teilnehmen, zu akzeptieren." Die amerikanische Demokratie werde angegriffen, weil der ehemalige US-Präsident sich weigere, den Willen des Volkes und die Ergebnisse der Wahl von 2020 zu akzeptieren. Viel spricht dafür, dass die damals gelegte Saat nun für Donald Trump aufgeht.