Juschtschenko in Berlin Der Held aus Kiew wirbt für EU-Beitritt

Noch vor wenigen Monaten war Viktor Juschtschenko der Held der Straße, Führer der "Revolution in Orange" in der Ukraine. Als Präsident wirbt er nun in Deutschland für eine enge Westbindung seines Landes - und darf nun sogar im Bundestag reden.

Nach dem friedlichen Machtwechsel in der Ukraine dringt neue Präsident Viktor Juschtschenko nun darauf, dass sein Land in Europa integriert wird. "Wir wollen unser Land auf der Liste der Staaten sehen, wo es Demokratie gibt und humanitäre Standards eingehalten werden", sagte er am Dienstagabend nach einem Treffen mit Bundespräsident Horst Köhler zum Auftakt seines zweitägigen Besuchs in Berlin. Kiew werde Rücksicht nehmen auf die Interessen Europas und der Nachbarländer, fügte er mit Blick auch auf Russland hinzu. Köhler würdigte die freien Wahlen in der Ukraine: "Ich denke, dass eine neue Zeit begonnen hat."

Schröder gilt als wichtiger Partner

Als Anführer der "Revolution in Orange" brachte Juschtschenko Ende 2004 Hunderttausende Menschen zu Protestkundgebungen gegen Wahlfälschungen auf die Straßen. In einer wiederholten Stichwahl setzte er sich gegen den damaligen Regierungschef Viktor Janukowitsch durch, allerdings mit einer für Juschtschenkos Anhänger enttäuschend knappen Mehrheit.

Nun verfolgt er die Strategie einer Anbindung seines Landes an den Westen, darf aber den übermächtigen russischen Nachbarn im Osten nicht verprellen. Deutschland ist aus Juschtschenkos Sicht einer der wichtigsten Partner Kiews in der EU. Gerade das gute Verhältnis von Bundeskanzler Gerhard Schröder zu dem russischen Präsidenten Wladimir Putin, so die Einschätzung von Experten, lasse Berlin zu einer wichtigen Adresse werden.

Bundestagsrede gegen CDU7CSU durchgesetzt

Hierzulande genießt der Mann, dessen Gesicht nach einem Giftanschlag im September 2003 entstellt ist, ein hohes Ansehen. Dies zeigt schon allein die Tatsache, dass er eingeladen wurde, eine Rede im Bundestag zu halten. Dass ihm diese Ehre zuteil wird, geht auf eine Initiative von Volker Rühe zurück. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses konnte diesen Vorschlag sogar gegen Widerstand in der eigenen CDU/CSU-Fraktion durchsetzen.

Lediglich die Visa-Affäre kommt dem 51-jährigen Juschtschenko bei seinem Besuch ungelegen: Einerseits muss er sich dafür einsetzen - wie er es an seinem ersten Besuchtstag getan hat - dass die Visapflicht für die Ukrainer abgeschafft wird, andererseits wäre es unklug, genau jetzt zu hohe Forderungen an die affärengeschundene Bundesregierung zu stellen.

Heldenhaftes Verhalten des ukrainischen Volks

Bei seinem Treffen mit Juschtschenko am Dienstag dankte Außenminister Joschka Fischer dem ukrainischen Präsidenten und dem ukrainischen Volk "für das heldenhafte Verhalten" und den Einsatz für Demokratie bei der friedlichen Revolution Ende 2004. In der Frage der Visa-Erleichterungen habe Fischer unterstrichen, dass die Begegnung vor allem junger Menschen notwendig sei, zugleich aber auch die Sicherheit berücksichtigt werden müsse, hieß es. Die EU arbeite an entsprechenden Vorschlägen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Am Mittwoch Vormittag wird Juschtschenko von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse begrüßt. Im Anschluss trifft er Gerhard Schröder im Kanzleramt. Nach dem Auftritt im Bundestag ist ein Gespräch mit der CDU- Vorsitzenden Angela Merkel geplant.

EU wird Ukraine so schnell nicht aufnehmen

Politiker von Union und SPD reagierten zurückhaltend auf den ukrainischen Wunsch nach einer Aufnahme in die EU. Die EU könne die Ukraine auf absehbare Zeit nicht als Vollmitglied aufnehmen, sagte der Vorsitzende des Europa-Ausschusses, Matthias Wissmann (CDU). Wie für die Türkei habe die Union auch für die Ukraine eine "privilegierte Partnerschaft" mit der EU im Auge. Der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Gert Weisskirchen, trat in der "Frankfurter Rundschau" für einen "assoziierten Status" der Ukraine in der EU ein. Auch die Türkei habe seit langem diesen Status, der die erste Stufe auf dem Weg zur Vollintegration bedeute.

Der russische Botschafter Wladimir Kotenjow sagte in Berlin mit Blick auf die Ukraine: "Wir haben nichts dagegen, dass andere Länder der EU beitreten, aber nicht auf Kosten der wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland."

Der fünffache Vater Juschtschenko ist in zweiter Ehe mit der Amerikanerin ukrainischer Abstammung, Katarina Juschtschenko-Tschumatschenko, verheiratet. Ihr jüngster Sohn Taras ist erst ein Jahr alt. Obwohl äußerlich noch immer von dem Giftanschlag gezeichnet, fühlt Juschtschenko sich nach eigenen Angaben körperlich wieder fit. Im Sommer wolle er wieder in die Berge und im Winter Skilaufen, kündigte der Präsidenkürzlich an.

Reuters
Florian Güßgen mit Material von DPA/Reuters

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