Das Bundeskabinett hat eine Sozialreform beschlossen, die das bisherige Bürgergeld durch eine neue Grundsicherung ersetzen soll. Dies verlautete am Mittwoch aus Regierungskreisen. Die Reform zielt darauf ab, mehr Menschen in Arbeit zu bringen. Auf Bezieherinnen und Bezieher, die nicht mit dem Amt kooperieren, kommen schärfere Sanktionen zu.
Für die Regierungspartner – Union und SPD – ist das Vorhaben sensibel: Die Union setzt damit ein zentrales Wahlversprechen um, die SPD stimmt der Rückabwicklung ihres eigenen Projekts aus der Vorgängerregierung zu – auch gegen Widerstände aus der eigenen Parteijugend, die sogar ein Mitgliederbegehren gegen die Reform angestrengt hat.
Die Reform werde das "Verhältnis zwischen Unterstützung und Mitwirkung, zwischen Solidarität und Eigenverantwortung" neu austarieren, heißt es in dem Gesetzentwurf aus dem Haus von Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD). Das Ziel: Menschen sollen "ihren Lebensunterhalt vollständig und möglichst dauerhaft aus eigenen Kräften bestreiten".
Koalition verspricht mehr Gerechtigkeit
Das neue Grundsicherungs-System soll "treffsicherer und gerechter" werden als das bisherige Bürgergeld. Generelles Ziel des neuen Gesetzes ist es, mehr Menschen in Arbeit zu bringen und den Missbrauch von Sozialleistungen zu unterbinden. Mitwirkungspflichten sollen stärker eingefordert werden: Wer zwei Termine beim Arbeitsamt ohne wichtigen Grund schwänzt, bekommt künftig 30 Prozent weniger Geld. Beim dritten versäumten Termin werden die Zahlungen vorerst gestrichen, die Miete wird direkt an den Vermieter überwiesen.
Bis zuletzt stritt die Koalition noch über eine Detailregelung: Sollen Betroffene vor der Komplettstreichung noch eine persönliche Anhörung beim Amt bekommen? SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas war dafür; die Union war dagegen, weil sie dies als Aufweichung der Verschärfungen sah. Der Kompromiss sieht so aus, dass Betroffene nur dann persönlich angehört werden, wenn dem Amt Anhaltspunkte für eine Erkrankung vorliegen.
Sozialverbände sind mit Bürgergeldreform unzufrieden
Deutsche Sozialverbände kritisieren den Kabinettsbeschluss zur Reform des Bürgergelds. Joachim Rock, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes sieht vor allem benachteiligte Gruppen gefährdet und meint: "Statt Menschen bei der Jobsuche stärker zu unterstützen, verschärft die neue Grundsicherung Unsicherheit und Existenzängste." Die Bundesregierung stelle mit der Reform "Verdacht vor Vertrauen".
Ähnlich äußerte sich Michael Groß, der Präsident der Arbeiterwohlfahrt (AWO) verwies darauf, dass in den vergangenen fünf Jahren die Preise für Lebensmittel um über 36 Prozent gestiegen seien. "Während Familien also darum bangen, am Monatsende ein warmes Essen für ihre Kinder auf den Tisch zu bekommen, beschäftigt sich die Regierung damit, verpasste Termine beim Jobcenter mit der Streichung der Wohnkosten zu bestrafen", kritisierte Groß.
Auch die Diakonie Deutschland kritisierte die neue Grundsicherung als verfehlt. "Statt den Druck zu erhöhen, sollte die Regierung die Jobcenter so ausstatten, dass sie Menschen durch gute und wirksame Beratung, Förderung und Vermittlung langfristig in Arbeit bringen können", erklärte Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.
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Arbeitsministerin verteidigt Reform
SPD-Arbeitsministerin Bärbel Bas hatte hingegen wiederholt darauf hingewiesen, dass alle, die mit den Jobcentern zusammenarbeiten oder Termine aus wichtigen Gründen nicht wahrnehmen können, nicht mit Kürzungen rechnen müssten. Bei Kindern und Jugendlichen wird nicht gekürzt. Mit dem Recht auf eine Anhörung vor der Komplettstreichung will die Ministerin aber sicherstellen, dass nicht solche Menschen bestraft werden, die etwa wegen einer Erkrankung oder aus Angst vor Behörden Termine versäumen.
Unstrittig ist die in der Koalition vereinbarte Härtefallprüfung. Dafür ist auch geplant, dass Jobcenter-Mitarbeitende die Betroffenen zu Hause besuchen. Bei einem Gespräch sollen dann besondere Umstände wie psychische Erkrankungen vorgetragen werden können.
Wer Hilfe benötige, könne sich aber auch künftig "auf die Unterstützung des Staates verlassen", hob die Ministerin hervor. "Besonders schutzwürdige Personen wie Alleinerziehende oder Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen können zudem auch weiterhin darauf vertrauen, dass ihre spezifische Lebenslage gesehen und berücksichtigt wird."
Was das Kabinett sonst noch beschlossen hat
Neben der Bürgergeldreform hat das Kabinett die Riesterreform auf den Weg gebracht. Wer privat fürs Alter vorsorgt, soll neue, staatlich geförderte Möglichkeiten bekommen. Künftig soll es demnach Altersvorsorgeprodukte mit unterschiedlichen Garantiestufen und damit auch unterschiedlichen Renditechancen geben. Wer einen alten Riester-Vertrag hat, soll den entweder weiterführen oder ins neue System wechseln können. Als Nächstes befassen sich Bundestag und Bundesrat mit den Plänen.
Es soll künftig weiterhin eine private Altersvorsorge geben, bei der 100 Prozent der eingezahlten Beiträge garantiert ausgezahlt werden. Dazu kommt eine Variante mit 80-prozentiger Garantie. Damit können die Versicherer die Beiträge schon etwas gewinnbringender am Kapitalmarkt anlegen. Neu eingeführt wird jedoch vor allem ein Altersvorsorgedepot, das hohe Renditen am Kapitalmarkt ermöglicht, aber keine Garantien gibt.
Außerdem soll ein Vertragswechsel günstiger werden. Abschluss- und Vertriebskosten sollen auf die gesamte Vertragslaufzeit verteilt werden, statt gesammelt zu Beginn anzufallen. Eine Wechselgebühr sollen die Anbieter nur in den ersten fünf Jahren nach Vertragsabschluss verlangen dürfen. Ziel der Bundesregierung ist, dass die neuen Produkte zum Januar 2027 an den Start gehen.
Hinweis: Dieser Beitrag wurde mehrfach aktualisiert.