Koalitionskrise "Wenn dieses Projekt scheitert, ist die Regierung zu Ende"

Nach den jüngsten Spekulationen über ein anderes Regierungsbündnis im Bund wächst das Misstrauen in der großen Koalition. CSU-Parteichef Edmund Stoiber hat angesichts des Streits um die Gesundheitsreform vor einem vorzeitigen Ende der großen Koalition gewarnt.

Nach den Signalen von SPD-Chef Kurt Beck in Richtung FDP versicherte die sozialdemokratische Parteispitze am Montag zwar, sie stehe zur Regierung mit der Union bis zum Ende der Legislaturperiode 2009. Mit Blick auf das neue Umfragetief für die Union - nach einer Erhebung nun erstmals seit Jahren hinter den Sozialdemokraten - warf Generalsekretär Hubertus Heil dem Koalitionspartner zugleich Nervosität vor. Unions-Politiker reagierten mit Vorwürfen an die SPD.

Gesundheitsreform ist ein Projekt Angela Merkels

"Wenn dieses Projekt scheitert, ist die Regierung zu Ende", sagte Stoiber in einer Sitzung des Parteivorstands am Montag in München, wie der "Münchner Merkur" (Dienstagausgabe) unter Berufung auf Sitzungsteilnehmer berichtete. Stoiber habe gesagt, die geplante Gesundheitsreform sei in großem Maße ein Projekt von Kanzlerin Angela Merkel. Sie stehe in direktem Zusammenhang mit Initiativen der CDU-Chefin auf dem Leipziger Parteitag 2003.

"Die Dinge, über die wir jetzt diskutieren, haben ihren Ursprung in Leipzig", wird Stoiber laut Zeitungsangaben übereinstimmend zitiert. Gleichwohl betonte der Parteichef den Angaben zufolge intern die gemeinsame Verantwortung der Koalitionspartner, in der Debatte um die Gesundheitsreform zu einer Einigung zu kommen: "Man muss wissen, dass ein Scheitern uns allen auf die Füße fällt."

Die FDP-Spitze stellte indes klar, für sie sei trotz anderer Aussagen von Partei-Vize Rainer Brüderle momentan ein Bündnis mit der SPD, aber auch mit den Grünen ausgeschlossen. Auch die Grünen wandten sich strikt gegen Spekulationen über ein so genanntes Ampelbündnis mit SPD und FDP.

CDU im Umfragetief

Eine schnelle Lösung beim Koalitionskrach ist weiter nicht in Sicht. Union und SPD wollen sich dafür weitere vier Wochen Zeit nehmen, wie Regierungssprecher Ulrich Wilhelm sagte. Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte noch einmal, dass mit der anstehenden Reform keine neuen Belastungen in Form von Praxisgebühr oder Zuzahlungen auf die Patienten zukämen. Es gehe vielmehr darum, Strukturen zu verbessern.

Dies sei eine Herausforderung für alle, die im System arbeiteten, "aber wir versuchen unser Bestes und haben dafür im Kabinett auch eine gute Zusammenarbeit". Am Ende werde eine Reform stehen, zu der alle drei Regierungsparteien - CDU, CSU und SPD - stehen könnten, ergänzte ihr Sprecher Ulrich Wilhelm. Dafür nötig seien aber "in den nächsten vier Wochen intensive weitere Gespräche". Er rechne "bis Ende Oktober" mit einem Beschluss des Bundeskabinetts. Die große Koalition sei wegen des Streits nicht in Gefahr, betonten Wilhelm und CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Das neue Umfragetief für die Union registrierte das Meinungsforschungsinstitut Forsa. Danach sank die Union erstmals seit der CDU-Parteispendenaffäre vor mehr als sechs Jahren unter die 30- Prozent-Marke, wie die Umfrage im Auftrag von RTL und "Stern" ergab. Demnach liegen CDU/CSU in der "Sonntagsfrage" bei 29 Prozent. Das sind 3 Prozentpunkte weniger als vor den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern. Die SPD legte 3 Punkte zu und rangiert jetzt bei 30 Prozent. Die FDP bleibt der Erhebung zufolge bei 15 Prozent. Die Grünen erreichen mit 9 Prozent einen Punkt weniger als in der Woche zuvor. Die Linkspartei liegt unverändert bei 10 Prozent, für sonstige Parteien würden sich 7 Prozent der Bürger entscheiden.

Experten noch nicht benannt

Wie eine Lösung aussehen soll, ist aber offen. Merkel und SPD-Chef Kurt Beck hatten am Freitag beschlossen, neue Sachverständige zu Rate zu ziehen, um den festgefahrenen Streit über die "Ein-Prozent-Regel" zu lockern. Die Experten sind aber noch nicht benannt, wie Wilhelm sagte. Laut "Süddeutscher Zeitung" will die Union den Vorsitzenden des Sachverständigenrats, Bert Rürup, die SPD den früheren Vorsitzenden der Barmer Ersatzkasse, Eckart Fiedler.

Der thüringische Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) sowie die CSU-Politiker Peter Ramsauer und Markus Söder wiederholten, dass die Begrenzung des künftigen Zusatz-Kassenbeitrags auf ein Prozent des Haushaltseinkommens nicht akzeptabel sei. Der sachsen-anhaltische Ministerpräsident Wolfgang Böhmer schlug als Kompromiss eine Begrenzung auf 1,5 Prozent vor. Der SPD-Parteirat beschloss allerdings gleichzeitig, dass die Ein-Prozent-Grenze unverrückbar sei. Ramsauer dementierte zwar, dass Bayern einen eigenen Gesetzentwurf zur privaten Krankenversicherung vorlegen wolle. Doch soll es eigene Vorschläge aus den Unions-Ländern geben, um die "leicht ideologischen" Entwürfe aus dem Bundesgesundheitsministerium zu kontern.

Stoiber warf Ministerin Ulla Schmidt erneut vor, gegen den Geist der Gesundheits-Eckpunkte zu verstoßen. "Es kommt darauf an, dass die Eckpunkte praktikabel umgesetzt werden", sagte er.

AP · DPA
DPA/AP