Die politische Szene in Berlin rätselte unlängst angestrengt. Weshalb war Angela Merkel nicht beim größten der Sommerfeste im Regierungsviertel, bei der "Stallwächterparty" der baden-württembergischen Landesvertretung? 2007 war sie schließlich auch präsent gewesen. Bekannt ist, dass sie mit dem Stuttgarter Ministerpräsidenten Günther Oettinger wenig gemeinsam am CDU-Hut hat. Also ein kleiner Affront der Kanzlerin?
Völlig falsch, wie wir jetzt nach dem Sommer-Interview der ARD mit der Kanzlerin wissen. Sie kämpfte an jenem Tag für eine schwarz-gelbe Koalition nach der Bundestagswahl 2009. Daher besuchte sie am Abend ein Reitturnier in Aachen, organisiert von Michael Mronz. Und der ist der Lebensgefährte von Guido Westerwelle, dem FDP-Vorsitzenden. Bekanntlich kann es nicht schaden, auch im familiären Umfeld des gewünschten Koalitionspartners sympathisch gefunden zu werden.´
Becks Wunschdenken
Überaus zwingend war es natürlich nicht, Michael Mronz derart zu umwerben. Die FDP wird sich auf jeden Fall mit der CDU/CSU verbünden, wenn es im Herbst 2009 zur Mehrheit reicht. Wenn. Denn die 60 Prozent, mit denen die Kanzlerin derzeit auf der Sympathieskala der deutschen Wähler ganz oben schwebt, sind kein Ruhekissen für die Unionsparteien. Bei der Sonntagsfrage rutschen sie um die 35 Prozent herum, was in etwa dem peinlichen Wahlergebnis von 2005 entspricht. Die 40 Prozent, die Merkel für die Union bräuchte, um eine Mehrheit mit den Liberalen im nächsten Bundestag zu schaffen, sind reichlich weit entfernt.
Noch mehr Wunschdenken ist es, wenn der SPD-Chef Kurt Beck parallel zur Kanzlerin im ZDF von seiner Traum-Konstellation Rot-Grün schwärmt. Zwar muss davon ausgegangen werden, dass die Genossen nicht ganz so schlecht abschneiden, wie sie in den Umfragen derzeit gehandelt werden. 30 Prozent plus X könnten schon noch drin sein, zumal dann, wenn der Kanzlerkandidat nicht Beck, sondern Steinmeier heißt. Aber zu Rot-Grün wird es auf keinen Fall reichen. Da Beck erneut eine Koalition mit der Linkspartei kategorisch ausschloss, könnte er nur mit einer SPD-FDP-Grüne-Koalition Kanzler werden.
Das gemeinsame Problem von Merkel wie Beck bei ihren sommerlichen Träumereien: Das Ergebnis ihrer Großen Koalition begeistert weder bisherige Unions-Wähler noch traditionelle SPD-Wähler. Zu Recht nicht. Das Missvergnügen über die bisherige Arbeit ist berechtigt, denn zu den Ergebnissen stehen beide Partner fast nie gemeinsam. Typisch beim zusammen beschlossenen Rentenalter 67. Das nennt Beck einen bemerkenswerten Erfolg von Schwarz-Rot - und versucht ständig, Abstriche an dieser Reform durchzusetzen. Und Anfang nächsten Jahres wird die schlechte Stimmung in der Koalition einen Höhepunkt erreichen, wenn die Wähler massiv zu spüren bekommen, wie teuer und bürokratisch die Gesundheitsreform wird, die als Reform-Zwitter daherkommt, weil die Koalition sich zu keiner besseren Lösung entschließen konnte.
Deprimierende Perspektive
Unterm Strich dieser koalitionspolitischen Rechnung kann daher leicht folgendes stehen: Es reicht nicht für Schwarz-Gelb. Es reicht nicht für Rot-Grün. Es könnte reichen für Schwarz-Gelb-Grün, was Merkel machen würde, aber vermutlich zu einer wenig handlungsfähigen Koalition führt, weil Liberale und Grüne so gut wie nichts gemeinsam haben. Es könnte auch reichen zu einer Rot-Gelb-Grün-Koalition, deren Aktionsbereich aber noch bescheidener sein dürfte, weil die FDP mit SPD und Grünen nichts verbindet.

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Was unter diesen Voraussetzungen bei Merkel wie bei Beck im Kalkül bleibt: Fortsetzung der Großen Koalition. Die SPD spricht offen darüber, die Union denkt still daran. Im Kabinett kommen die Beteiligten von heute ordentlich miteinander aus. In den Fraktionen funktioniert es einigermaßen, weil Peter Struck und Volker Kauder kooperieren. Aber in beiden Parteien wächst an der Basis die Abneigung gegen die Große Koalition. So könnte diejenige Partei am Ende die Wahl gewinnen, in deren Reihen sich die wenigsten Sympathisanten zur Wahlverweigerung entschließen. Eine eher deprimierende Perspektive.