"Wo bleibt er denn?", fragt eine junge Frau. Edmund Stoiber ist zu spät - das erinnert an alte Tage. Ein halbes Dutzend Kameras steht bereit. Doch dann kommt er. Ein kleines Blitzlichtgewitter, freilich kein Orkan, wie zu seinen politischen Hochzeiten. Doch Stoiber lässt keine Kamera aus, lächelt sogar noch mehr als früher. Schon bei seinem Einzug wird klar: Er hat es vermisst - das Rampenlicht. Es war ruhig geworden um Stoiber, nachdem die CSU den einstigen Volkstribun aus seinem Amt gejagt hatte. Nach Brüssel wechselte er im Herbst vergangenen Jahres, wo ihn EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso zum Chef eines 15-köpfigen Antibürokratie-Gremiums ernannte.
Es ist das erste Mal seit langer Zeit, dass er wieder vor einem Parlament spricht. Der Europaausschuss des Bayerischen Landtags hat ihn geladen, schließlich wird Stoibers "High Level Group zum Bürokratieabbau" in Europa auch mit bayerischen Steuergeldern finanziert.
Zuerst zierte er sich, lehnte die Einladung des Landtages - auch zum Entsetzen eigener Parteikollegen - ab. Der "Schwerpunkt für die Vorlage von Vereinfachungsvorschlägen durch die EU-Kommission" liege erst im zweiten Halbjahr 2008, ließ er die Parlamentarier wissen.
Am Ende kommt er doch. "Ich freue mich, an die Wurzeln meiner politischen Laufbahn zurückzukehren", sagt er. Und vieles ist wie einst. Als "Herr Ministerpräsident" begrüßt ihn der Vorsitzende des Europaauschusses Martin Runge (Grüne) und korrigiert sich umgehend in "Ex-Ministerpräsident". Mehrmals sprechen ihn Politiker an diesem Tag so an. Und selbst Vorzeigeunternehmer Roland Berger, der Stoiber in der Arbeitsgruppe zur Seite steht, tituliert diesen mit seiner alten Funktion. Dem Oberbayern gefällt es.
Die Bilanz der Papiertiger kann sich sehen lassen
Stoiber lacht viel an diesem Tag. Er hat ja auch allen Grund. "Als Schnapsidee" hatte der Europapolitiker Martin Schulz die Einsetzung seiner Task Force verspottet. Die EU brauche vieles, nur keine neuen Arbeitsgruppen, kritisierte der SPD-Mann damals. Von zahmen "Papierkriegern" war zu lesen. Auch, dass Stoiber für seine Tätigkeit in Brüssel kein Honorar verlangt, konnte die Kritiker nicht besänftigen. Die bayerische Opposition hatte es sogar gewagt, die Ausstattung von Stoibers Ruhestands-Residenz zu kritisieren. SPD-Fraktionschef Franz Maget monierte, Stoibers Büro sei mit 13 Zimmern "üppiger" ausgestattet, als das eines "jeden Ex-Bundeskanzlers".
Doch bei Stoibers Rückkehr in den Freistaat gibt es fast keine Kritik. Sogar SPD-Mann Wolfgang Hoderlein bedankt sich bei dem CSU-Politiker für dessen "ehrenamtliches Engagement". Der Grund für die geglätteten Wogen ist einfach: Stoibers und Bergers bisherige Bilanz kann sich sehen lassen. Stoiber und seine Mitstreiter haben bereits mehrere Ideen zum Bürokratieabbau vorgebracht, die bei der Europäischen Kommission auf Unterstützung stießen. Das bereits auf den Weg gebrachte Einsparungsvolumen für die europäische Wirtschaft, so rechnet Stoiber vor, belaufe sich auf mindestens eine Milliarde Euro. Weitere Vorschläge zum Gesellschaftsrecht, denen die EU-Kommission aber noch zustimmen muss, könnten laut Berger noch einmal weitere sechs Milliarden Euro Kosten für die Wirtschaft einsparen.

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Ohne Versprecher und kaum ein "Äh"
Stoiber ist zufrieden. Er wirkt beim Reden so sicher wie selten in seiner Amtszeit. Das obligatorische "Äh" ist nur selten zu hören, auch die Versprecher bleiben an diesem Tag der Opposition vorbehalten. "Frau Merkel" bleibt Frau Merkel und wird nicht zu Sabine Christiansen. Doch auch Stoiber weiß: "Das Schwierigste ist natürlich die Umsetzung des Bürokratieabbaus in den einzelnen Ländern". Deregulierung sei nicht überall populär. "Es ist schwierig, über das Thema mit einem Italiener oder Rumänen zu reden".
Brüssel dürfe aber von der Bevölkerung nicht weiter als "Moloch" gesehen werden. "Diese vor allem bei jungen Menschen verbreitete Einstellung untergräbt auf Dauer das Fundament der europäischen Einigung", ruft Stoiber, der als ehemaliger Ministerpräsident selbst oft gegen die EU gepoltert hatte. Deswegen müssten "unsinnige Regelungen" beseitigt werden.
Ganz wie einst rudert er mit den Armen, als er von einem großen Schnupftabakhersteller erzählt, der zu ihm gekommen sei. Dieser habe sich bei ihm darüber beklagt, dass er an die Behörden aller 27 EU-Länder melden müsse, wenn er einen Inhaltsstoff ändere. Bürokratie kenne keine Ländergrenzen. Zudem müssten LKW-Fahrer ihre Fahrzeiten in manchen EU-Ländern auf zwei verschiedene Arten aufzeichnen. Stoiber zitiert auch die berüchtigte Verordnung 1677/88: Danach darf die Euro-Normgurke lediglich eine maximale Krümmung von 20 Millimetern auf zehn Zentimeter Länge aufweisen. Nun habe man endlich die Abschaffung dieser Vorschrift vorgeschlagen.
"Wir brauchen einen Bürokratie-Gürtel"
Um die Gratwanderung zwischen Freiheit und Sicherheit zu illustrieren, bediente sich Stoiber einer interessanten Metapher: Wer sicher sein will, dass seine Hose nicht rutscht, der trägt einen Gürtel. Wer etwas ängstlicher ist, verwendet zusätzlich noch Hosenträger. Und nur, wem das Risiko dann immer noch zu groß sei, der würde Hemd und die Hose mit Reißzwecken verbinden. Und leider, so der Politiker weiter, werde in der EU-Bürokratie oft nach diesem Reißzwecken-Prinzip verfahren. "Ich sage, wir brauchen nur einen Gürtel", ruft er dem lachenden Publikum zu.
Die Opposition ist amüsiert. Doch es gibt auch kritische Stimmen. "Entbürokratisierung darf nicht als Deckmantel für Demokratie- und Sozialabbau missbraucht werden", warnt Martin Runge von den Grünen. Ob Stoiber dies auch in Zukunft beherzigt, bleibe abzuwarten.