Die Regierungskoalition streitet über den Umgang mit älteren Atomkraftwerken und die künftige Linie in der Atompolitik. Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) lehnte politische Maßnahmen zur Rettung von Alt-Akw, die nach geltendem Recht bald stillgelegt werden müssten, im "Tagesspiegel am Sonntag" erneut ab. Gegen diese Linie wandten sich am Wochenende nach Politikern der CDU auch führende Vertreter der FDP.
Röttgen verteidigte im "Tagesspiegel" seinen Vorstoß für ein Festhalten am Atomausstieg in einem überschaubaren Zeitraum gegen Kritik aus den eigenen Reihen. Die Koalition habe die Kernenergie als Brückentechnologie definiert und festgehalten, dass die Brücke ende, wenn die erneuerbaren Energien verlässlich die Kernenergie ersetzten, sagte der Umweltminister. Seinen Kritikern hielt er "Missverständnisse" vor. "Einige nehmen nicht wahr, was auf dem Papier des Koalitionsvertrags steht", sagte Röttgen. Viele unterschätzten auch die wirtschaftlichen Chancen einer grundlegenden Erneuerung der Energiestruktur. Die Bundesregierung will ihr Energiekonzept im Herbst festlegen.
Der Umweltminister machte deutlich, dass er alte Atomkraftwerke wie Neckarwestheim I und Biblis A nicht politisch vor der drohenden Abschaltung retten will. Die Frage der Laufzeiten werde im Rahmen des energiepolitischen Konzepts entschieden, "nicht schon vorher", sagte der Minister dem "Tagesspiegel". Bis dahin müsse der Betrieb einzelner Atomkraftwerke auf der Basis des geltenden Rechts entschieden werden. Es sei Sache der Energiekonzerne, sich über andere Wege wie die Übertragung von Strommengen aus anderen Atommeilern zu verständigen. Der Atommeiler Neckarwestheim I müsste nach geltendem Atomrecht voraussichtlich bis zum Sommer abgeschaltet werden, Biblis A bald darauf.
FDP-Chef Guido Westerwelle warnte am Sonntag im Deutschlandfunk, die Strompreise würden in Deutschland explodieren, "würden wir jetzt das tun, was Rot-Grün beschlossen hat, also jetzt in diesem Jahr mit dem Abschalten beginnen". Auch Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) erteilte raschen Akw-Abschaltungen eine Absage. Er bekräftigte in der "Bild am Sonntag" zugleich, Zusatzgewinne durch Laufzeitverlängerungen für bestehende Akw sollten für den Ausbau erneuerbarer Energien genutzt werden.
Röttgens Kurs war zuvor auch in der Union teilweise auf Widerstand gestoßen. Baden-Württembergs neuer Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und mehrere Landesumweltminister hatten sich offen gegen den Bundesumweltminister gestellt und deutlich längere Laufzeiten auch für Alt-Akw gefordert. Mappus forderte in der "Stuttgarter Zeitung" vom Samstag besonders den Weiterbetrieb von Neckarwestheim I. Andere CDU-Politiker stellten sich aber hinter den Umweltminister.
Mit Blick auf die Endlagerung von Atommüll kündigte Röttgen eine "zügige Fortsetzung der Erkundung" des Salzstocks Gorleben an. "Dabei ist die maximale Sicherheit der Maßstab", sagte er. Auch wenn sich Gorleben als ungeeignet erweisen sollte, werde es aber keinen Export von Atommüll geben. "Wir können nicht die Risiken unseres Lebensstils exportieren."
"Wer den Umstieg auf die erneuerbaren Energien ernst meint, muss am Atomausstieg ohne Wenn und Aber festhalten", erklärte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. Neckarwestheim und Biblis müssten abgeschaltet werden, "sonst sind die Sonntagsreden über Erneuerbare Energien nichts als hohles Geschwätz".