Geben wir SPD, Grünen und Linkspartei einen guten Rat: Geht in einen politischen Jahresurlaub, in Dauerschlaf oder auf eine außereuropäische Traumreise. Denn Opposition wird in diesen schwarz-gelben Regierungszeiten nicht gebraucht. Die liefern CDU, CSU und FDP selbst. Und zwar um Klassen besser als die konkurrierenden Parteien es jemals könnten.
Nehmen wir als Beweis für diese These die jüngste Pressekonferenz der Umweltminister aus Bayern (Markus Söder), Baden-Württemberg (Tanja Gönner) und Hessen (Silke Lautenschläger) im Gebäude des Bundesrats in Berlin. Im Normalfall geht es dort politisch gesittet zu, in Ton wie Gestik. Jetzt purzelten im Gedränge die Mikros der Journalisten vom Tisch, die TV-Kameraleute kämpften um ein Stehplätzchen und der Pressesprecher der Länderkammer ließ klar erkennen, dass er ein derartiges mediales Tohuwabohu bisher noch nicht erlebt hat.
Röttgen, ein Wirrkopf?
Man kann das Gedränge gut verstehen. Denn dargeboten wurde die politische Hinrichtung des CDU-Bundesumweltministers Norbert Röttgen durch seine drei Unionsfreunde. Nimmt man die Werturteile des Trios über Röttgen ernst, dann besitzt der Mann, den Kanzlerin Merkel für eine Traumbesetzung in ihrem Kabinett hält, folgende Mängel: Er ist unzuverlässig im Umgang mit dem Koalitionsvertrag, ein Hektiker im sensiblen Bereich der Atompolitik, ein gegenüber politisch befreundeten Ländern rücksichtsloser Einzelgänger, ein Abweichler von einer seriösen, berechenbaren und glaubwürdigen Linie der Energiepolitik, ein Wahlbetrüger, der sich nicht mehr daran erinnere, wofür er einst geworben hat, ein politischer Opportunist, der seinen politischen Kurs nicht an der eigenen Glaubwürdigkeit orientiert, sondern an demoskopischer Gefallsucht.
Ein Satz von Tanja Gönner bringt das Urteil über Röttgen auf den Punkt. Sie sagt: "Aufgabe von Politik ist es, Rationalität einzuhalten." Was übersetzt natürlich heißt: Wer das nicht schafft wie Röttgen, ist ein politischer Wirrkopf.
Auf Linie des Koalitionsvertrages
Die Frage, die sich dann aber nicht vermeiden lässt, lautet: Wenn das harsche Urteil für Röttgen gilt, muss es dann nicht für die gesamte Energiepolitik von CDU und CSU und FDP gelten?
Denn Röttgen hat in diesen Tagen doch nur gesagt, was die Regierung im Koalitionsvertrag als ihr energiepolitisches Ziel festgeschrieben hat. Dass die Kernenergie lediglich eine Brückentechnologie Methode der Energiegewinnung ist. Dass die aus Wind, Wasser und Sonne gewonnenen Erneuerbaren Energien die Zukunft sind. Dass ein besser ausgebautes Stromnetz samt neuer Energiespeichertechnologie gebraucht wird. Und dass die Subventionen in die Taschen der Solarstromproduzenten gesenkt werden müssen.
All das soll in ein Energiekonzept eingebettet werden, das im Herbst die Wege dahin detailliert beschreibt. Die Laufzeit der Kernkraftwerke, so Röttgen, solle von den derzeit erlaubten 32 Jahren allenfalls auf 40 Jahre verlängert werden. Angela Merkel hat über ihren Regierungssprecher erklären lassen, damit liege der Bundesumweltminister voll auf ihrer Linie und der des Koalitionsvertrages.
Wieder einmal fällig: ein Machtwort
Man kann in der Tat Röttgen kein Abweichen vom lauthals zuvor verkündeten Kurs der Koalition in Sachen Atomkraft vorwerfen. Allenfalls die taktische Ungeschicklichkeit, die Details der künftigen Energiepolitik nicht zuvor im stillen Kämmerlein mit FDP und Union diskutiert zu haben. Die rabiaten Töne, mit denen die drei Umweltminister jetzt über ihn herfallen, legen allerdings den Verdacht nahe, dass bei ihnen gar kein ernsthaftes Interesse an einer neuen Energiepolitik besteht. Die Kernkraftwerke sollen offenbar laufen bis zum St. Nimmerleinstag, denn dann können ihre Gewinne steuerlich angezapft werden. Die üppige Solarstromförderung will man, vor allem in Bayern, nicht ernsthaft reduzieren, weil vielleicht Arbeitsplätze gefährdet würden.

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Wenn die Röttgen-Kritiker mit ihrem eigenen Bekenntnis, Kernkraft sei eine "Brückentechnologie", nicht nur ihre Absicht tarnen wollen, bis zum Ende des Jahrhunderts ungehemmt weiter Atomstrom zu nutzen, dann dürften sie sich nicht zu derart radikaler Kritik gegen den Bundesumweltminister versteigen. Es ist vernünftig, dass er sagt, bei einem Anteil von 40 Prozent erneuerbarer Energien an der Stromversorgung könne man die Kernkraft abschalten. In der erneuerbaren Energie liegt die Zukunft. Nicht im Ausstieg aus dem Atomausstieg. Und darauf läuft der Kurs der Röttgen-Scharfrichter offenbar hinaus.
Es wäre jetzt, einmal wieder, ein Machtwort der Kanzlerin fällig.