Auch die SPD will Bundeskanzlerin Angela Merkel vor den Untersuchungsausschuss zur Kundus-Affäre vorladen. "Es gibt Fragen, die letztlich nur die Kanzlerin beantworten kann", sagte der SPD-Obmann im Ausschuss, Rainer Arnold, der "Bild"-Zeitung. Hintergrund ist eine E-Mail, wonach das Kanzleramt schon am Morgen nach dem von der Bundeswehr angeordneten Luftangriff nahe ihres Stützpunktes im afghanischen Kundus konkrete Hinweise auf zivile Opfer gehabt haben soll.
Einem Regierungssprecher zufolge handelt es sich bei der E-Mail aber nur um eine unverbindliche Erstinformation des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit einer als Anlage übermittelten Nachricht der BBC News. Die Mail sei wie auch die weiteren Unterlagen des Kanzleramts zu dem Bombardement dem Untersuchungsausschuss übergeben worden.
Oppermann: Die Kanzlerin hätte sich kümmern müssen
Bei dem Angriff am 4. September wurden bis zu 142 Menschen getötet. Wie viele von ihnen Zivilisten waren, ist unklar. Der damalige Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) trat im November wegen der Affäre zurück. Am 22. April will der Untersuchungsausschuss Jungs Nachfolger Karl-Theodor zu Guttenberg befragen. Die Opposition wirft dem CSU-Politiker vor, dass er das Bombardement zunächst als militärisch angemessen beurteilt hatte. Als später der sogenannte Feldjägerbericht bekannt wurde, in dem von toten Zivilisten die Rede ist, rückte er von dieser Haltung ab. Die Opposition geht jedoch davon aus, dass er schon bei der Amtsübernahme von zivilen Opfern wusste. Merkel hatte die Existenz ziviler Opfer nicht verneint, sich aber erst Tage nach dem Luftangriff zu dem Vorfall geäußert.
SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann warf Merkel vor, sie habe ihre Verantwortung bei der Aufklärung des Luftangriffes nicht wahrgenommen. "Nach dem größten Angriff deutscher Soldaten seit dem Zweiten Weltkrieg hätte sich die Kanzlerin natürlich sofort kümmern müssen", sagte Oppermann der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Zur Klärung der Frage, ob und wie viele Zivilisten verletzt oder getötet worden seien, habe das Kanzleramt alle Möglichkeiten.
Opposition sieht Vernehmung Merkels als "unabdinglich"
Zuvor hatten bereits die anderen Oppositionsparteien eine baldige Vernehmung Merkels im Ausschuss gefordert. Eine Aussage der CDU-Chefin sei "spätestens seit dieser Berichterstattung unabdinglich", so der Grünen-Ausschussobmann Omid Nouripour. Der Linken-Abgeordnete Paul Schäfer sagte, es seien nun "eine Reihe von Fragen" drängender geworden. "Wir müssen diese Spur aufnehmen." Die Grünen-Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin forderten Merkel in einem Brief auf, "umgehend" für Aufklärung zu sorgen. Sie hielten der Kanzlerin vor, dass sie in ihrer Regierungserklärung vom 8. September zwar auf widersprüchliche Meldungen über zivile Opfer hingewiesen habe. "Sie haben dem Bundestag aber verschwiegen, dass der Bundesregierung bereits konkrete Hinweise auf zivile Opfer vorlagen."
Der CDU-Verteidigungsexperte Andreas Schockenhoff nahm Merkel dagegen in Schutz und verwahrte sich gegen den Vorwurf, sie habe sich nicht früh genug um Aufklärung gekümmert. Schockenhoff erinnerte daran, dass Merkel bereits am 6. September und auch in den folgenden Tagen öffentlich auf die Möglichkeit ziviler Opfer bei dem Angriff hingewiesen habe. "Die Behauptung, Angela Merkel sei mit der Bombardierung bei Kundus und ihren Folgen nicht offen umgegangen, ist bösartig", sagte Schockenhoff der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Der SPD gehe es nur darum, die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende im nordrhein-westfälischen Wahlkampf anzugreifen.
Die Opposition kann Merkel auch ohne Zustimmung der Koalition vor den Untersuchungsausschuss laden. Ab Mai werden beide Seiten von Sitzung zu Sitzung abwechselnd über die Zeugen entscheiden. Ob die Kanzlerin noch vor der Sommerpause geladen wird, ist aber bisher unklar.