Er ist es nicht, er ist es nicht, er ist es nicht - Roland Koch spielt immer noch den Demütigen. Versucht, im brechend vollen Fraktionssaal der hessischen CDU die Euphorie zu dämpfen. Sagt sinngemäß, dass die Stimmengewinne der FDP auch an seiner Person liegen könnten. Das ist zweifellos die Wahrheit. Alle Umfragen haben gezeigt, dass Kochs Sympathiewerte im Keller sind. Er hat zu viel auf dem Kerbholz: Die Ausländer-Kampagnen, die "jüdischen Vermächtnisse", das Versagen in der Bildungspolitik.
37,2 Prozent hat die CDU geholt, nur minimal mehr als vor einem Jahr. Die enttäuschten CDU-Wähler sind zur FDP abgewandert, die sagenhafte 16,2 Prozent einfährt. Es reicht dicke für Schwarz-Gelb. "Der Spuk ist vorbei", sagt Koch. Die FDP hat seine politische Karriere gerettet. In Hessen, in Berlin. In seinen Interviews legt sich Koch nicht fest, die volle Legislaturperiode in Wiesbaden zu bleiben. Im September sind Bundestagswahlen. Finanzminister, Wirtschaftsminister? Es ist noch was drin.
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Bei der FDP wird kein Champagner ausgeschenkt. Es gibt Fürst von Metternich. Außerdem viele gut frisierte Menschen in schicken Anzügen. Einer von ihnen ist Markus Gail, Mitglied im Main-Taunus-Kreis. "Die CDU hat große Fehler gemacht", sagt der 35-Jährige. "Und die Wähler wollten der CDU jemanden an die Seite stellen, der ihr auf die Finger schaut." Dieser jemand ist die FDP. Niemand weiß so genau, wofür sie eigentlich steht, von Steuersenkungen abgesehen. Aber das war offenbar nicht wahlentscheidend.
Das Image des "Umfallers" ist Vergangenheit
Gail spricht vom "Glaubwürdigkeitsvorteil" der FDP. Sie hat den Slogan "Wir halten Wort" im Wahlkampf plakatiert. Ein Wort für was? Vielleicht das Wort, der CDU die Treue zu halten. "Wir haben zusammengehalten in guten und in schlechten Zeiten", sagt Roland Koch. Das hat im vergangenen Jahr eine Ampel-Koalition unmöglich gemacht. Aber vielleicht steckt darin tatsächlich das Erfolgsgeheimnis der FDP: Sie hatte sich festgelegt, sie blieb dabei. Das Image des "Umfallers" ist Vergangenheit. Womöglich profitiert die FDP weniger von ihren Inhalten, sondern von der Politikverdrossenheit.
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Wenn sie es gewollt hätte, wäre Andrea Ypsilanti vor einem Jahr auf Händen durch den Fraktionssaal der SPD getragen worden. Jetzt erklärt sie mit zerfurchtem Gesicht ihr vorläufiges politisches Ende. 23,7 Prozent für die hessischen Sozialdemokraten, das ist ein Debakel. Ypsilanti gibt Parteiführung und Fraktionsvorsitz ab. Eine linke Hoffnungsträgerin entsorgt sich selbst. Im CDU-Fraktionssaal johlen und klatschen sie nach ihrer Erklärung.
Deprimierte Sozialdemokraten
Thorsten Schäfer-Gümbel ist entnervt. Er trinkt alkoholfreies Bier, er muss noch Interviews geben. Er sei "auch deprimiert", sagt er. Das sei eine "Denkzettel-Wahl" für den Wortbruch gewesen. 18 bis 20 Stunden am Tag habe er in den vergangenen zwei Monaten gerackert, allein am Freitag und Samstag vor der Wahl 16 Termine absolviert. Alles gewagt, alles gegeben, fast nichts gewonnen. Nun wird er Jahre damit zubringen, die SPD wieder stark zu machen. Schäfer-Gümbel ist Christ. "Sein Fels ist seine Seele." Das ist das Wort, das ihm nach den Hochrechnungen durch den Kopf gegangen sei. Schäfer-Gümbel hat auch seinen Wahlkreis verloren. An Volker Bouffier (CDU), den zweiten Mann hinter Koch.
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Tarek Al Wazir, Chef der hessischen Grünen, hält einen Zettel in der Hand. Darauf sind die besten Wahlergebnisse der Grünen notiert. 16,5 Prozent holten sie 2006 in Bremen, 13,7 Prozent nun im Flächenland Hessen. Al Wazir sieht das Ergebnis mit Vergnügen. Auch wenn es ihm keine Machtperspektive eröffnet. Natürlich konnte er es sich nicht verkneifen, FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn am Rande eines TV-Gesprächs eine Ampel-Koalition anzubieten. Nur um zu sehen, wie er reagiert. "Sie wollen schon wieder Stunk machen", habe Hahn geantwortet, sagt Al Wazir. Und lacht.
Was nun? Weitere fünf Jahre auf der Oppositionsbank? Al Wazir will erst mal in den Urlaub fahren. Und nachdenken. Auch er legt sich nicht fest. Allerdings hat er schon eine Idee, wie er den Wahlkampf 2014 führen will. "Ein Plakat: 15 Jahre Koch sind genug". Das würde alle überzeugen, sagt Al Wazir. Und lacht noch mal.
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5,4 Prozent. Die Linke hat nicht nur überlebt, sondern auch leicht zugelegt. Das ist mehr, als nach den parteiinternen Streitereien vor der Landtagswahl zu erwarten war. Das Fünf-Parteien-System hat sich in Hessen stabilisiert. Aber es ist eben auch kein Durchmarsch der Linken zu verzeichnen, wie es viele angesichts der Wirtschaftskrise erwartet hatten. "Wir haben nicht alle erreicht", sagt Parteichef Willi van Ooyen in die Kameras. Und das, obwohl die Big Shots alles gegeben haben. Oskar Lafontaine hatte sich der hessischen Sache angenommen. Gregor Gysi auch.
Nach dem geplatzten rot-rot-grünen Bündnis haben die Linken in Hessen keine Machtperspektive mehr. Sie können das tun, was sie am besten können: Fundamentalopposition. Es wird Koch nicht wirklich kratzen.
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Nur 61 Prozent der hessischen Wahlberechtigten gingen tatsächlich wählen. Das ist ein neuer Negativrekord. Die Parteiendemokratie verliert den Boden unter den Füßen. Und das muss allen die Sorgenfalten in die Stirn treiben. Von der FDP bis zu den Grünen.