Wenn es nach der AfD geht, soll deren Bundestagsabgeordneter Martin Hess in Zukunft Chef des Bundestagsinnenausschusses werden. Gegen die Nominierung des 50-jährigen Polizisten aus Baden-Württemberg am Dienstag hatte es heftigen Widerstand seitens der Polizeigewerkschaft sowie von Abgeordneten der CSU und der Linken gegeben. Nach dem Willen der AfD soll zudem der Wirtschaftsingenieur Jörg Schneider Vorsitzender des Gesundheitsausschusses werden. Die Leitung des Ausschusses für Entwicklungszusammenarbeit soll der Diplom-Ingenieur Dietmar Friedhoff übernehmen. Unklar ist aber noch, ob die genannten AfD-Abgeordneten die ihnen zugedachten Posten übernehmen können.
Die Kritik entzündete sich vor allem daran, dass die Ampel-Parteien der AfD den wichtigen Innenausschuss überlassen hatten, der sich etwa mit innerer Sicherheit und Migration beschäftigt. Auch dass die AfD in der Corona-Pandemie den Gesundheitsausschuss übernehmen soll, stieß auf Bedenken. "Ich bin mir der großen Verantwortung des Amtes bewusst und werde es fair, sachlich und überparteilich ausüben", sagte Hess. Etwaige Sicherheitsbedenken weise er in aller schärfster Form zurück. Er habe 27 Jahre Diensterfahrung und sei Polizeihauptkommissar. Er sei im Bereich der inneren Sicherheit mit entsprechender Fachkompetenz beschlagen.
Besetzung der Vorsitzendenposten reine Formsache – eigentlich
Bundestagsausschüsse sind so etwas wie das Parlament im Kleinen. Sie sind entsprechend dem Kräfteverhältnis im Plenum besetzt und beraten über die Gesetzentwürfe ihres jeweiligen Bereichs. Sie hören Experten an und bringen die Gesetzentwürfe in eine Beschlussfassung, die dann vom Plenum verabschiedet werden kann. Die Ausschussvorsitzenden bereiten die Sitzungen vor, berufen sie ein, leiten sie und halten üblicherweise auch guten Kontakt zu den Behörden, der Innenausschussvorsitzende etwa zu den Sicherheitsbehörden.
Die Vorsitzendenposten in den Ausschüssen werden nach einem ganz bestimmten Mechanismus vergeben: Die größte Fraktion darf sich zuerst einen Ausschuss aussuchen, dann die zweitgrößte, die drittgrößte und so weiter. Das geht über mehrere Runden, bis die Vorsitze der Ausschüsse verteilt sind. Der größten Oppositionsfraktion – jetzt die CDU/CSU – steht traditionell der Vorsitz im Haushaltsausschuss zu. Vor der AfD waren in der ersten Runde noch SPD, Grüne und FDP am Zug, die allerdings andere Ausschüsse wählten. So kam die AfD zu Innen, Gesundheit und Entwicklung. Normalerweise sind die Vorsitzenden damit gesetzt.
Nun wird es aber darauf ankommen, wie die anderen Fraktionen sich verhalten. Am Dienstag war zu hören, dass es in den Ausschüssen entgegen dem üblichen Verfahren auch zu Abstimmungen über den Vorsitz kommen könnte. Damit könnten die anderen Parteien die AfD-Vorsitzenden theoretisch verhindern.
Der ehemalige Chef des Bundestagsinnenausschusses, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Wahl der Ausschussvorsitzenden sei normalerweise nach der Nominierung durch die Fraktionen nur noch Formsache. "Da aber mittlerweile immer mehr Abgeordnete zu der Überzeugung gelangen, dass es ein Fehler war, ausgerechnet der AfD den Ausschuss anzuvertrauen, der auch für den Schutz unserer Verfassung vor dessen Feinden zuständig ist, kann ich mir gut vorstellen, dass dessen Mitglieder sehr genau darauf achten werden, wen die AfD hier vorschlägt."
Andere Fraktionen zeigen sich skeptisch bis empört
In den Bundestagsfraktionen regt sich erheblicher Widerstand gegen die Wahl von AfD-Abgeordnete. Die Linke kündigte am Dienstag an, bei der Abstimmung im Innenausschuss am Mittwoch auf jeden Fall gegen den AfD-Kandidaten zu stimmen. "Ich kann nur eines sagen: Die Linke wird niemals einen Kandidaten der AfD für ein solches Amt unterstützen", sagte die Linken-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali.
Vorsichtiger formulierte es SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Er sagte, seine Fraktion werde sich jeden Kandidaten "genau" anschauen. Er verwies darauf, dass die AfD in einigen Bundesländern unter Beobachtung stehe. Mützenich wies auch darauf hin, dass ein Ausschuss auch ohne die Wahl eines Vorsitzenden arbeitsfähig sei. In diesem Falle übernähmen die stellvertretenden Vorsitzenden die Leitung.
Auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr ließ erhebliche Skepsis durchblicken. "Ein Ausschussvorsitzender präsentiert das Parlament auch nach außen, insofern kommt es auf die persönliche, auch die fachliche Geeignetheit an", sagte Dürr. Es gebe keinen Automatismus, dass ein Kandidat für einen Ausschussvorsitz von den Ausschussmitgliedern auch gewählt wird. Unions-Franktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) verwies auf die sensiblen Themen, die gerade im Innenausschuss behandelt werden. Ihm fehle die die Fantasie, sich vorzustellen, dass dieser von einem AfD-Vertreter geleitet werde. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zeigte sich "empört": Der Innenausschuss sei für Fragen der Rechtsstaatlichkeit zentral. Es sei deshalb nicht tragbar, dass die AfD diesen führe.
AfD-Fraktionschefin Alice Weidel warnte die anderen Fraktionen davor, die Kandidaten ihrer Partei durchfallen zu lassen. Die AfD sehe dies als "einen Angriff" auf demokratische Prinzipien. "Unsere Fraktion hat einen Anspruch auf demokratische Teilhabe im Deutschen Bundestag", sagte sie. Für den Fall, dass die AfD-Kandidaten in den Ausschüssen nicht gewählt werden sollten, sagte sie: "Dann werden wir natürlich zu unseren Kandidaten stehen. Wir werden uns von den anderen Fraktionen mit Sicherheit nicht vorschreiben lassen, welche Kandidaten wir hier aufstellen." Hess habe "eine lupenreine Biografie", sagte der Partei- und Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla im ZDF-"Morgenmagazin". Er sei Polizeioberkommissar mit 27 Jahren Dienst für dieses Land. Er wisse nicht, was dagegen spreche, Hess zum Ausschussvorsitzenden zu wählen.