Bundestagsabgeordneter Stefan Seidler Warum es wichtig ist, dass heute im Bundestag Friesisch, Dänisch und Platt geschnackt wird

Ein Gastbeitrag von Stefan Seidler
Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband, SSW
Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband, SSW. Auf Plattdeutsch, Friesisch und Dänisch wollen Abgeordnete im Bundestag am Donnerstag über den Schutz der in Deutschland anerkannten Minderheitensprachen debattieren. 
© Kay Nietfeld / DPA
Der Bundestag debattiert über den Schutz von Minderheiten- und Regionalsprachen. Der Bundestagsabgeordnete des Südschleswigschen Wählerverbandes (SSW), Stefan Seidler, schreibt in einem Gastbeitrag über die Wichtigkeit von Minderheiten für unsere Vielfalt.

In dieser Woche findet im Bundestag auf Initiative der Parlamentsgruppe "Plattdeutsch" hin eine Debatte anlässlich des 25. Jahrestages des Inkrafttretens der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen statt. Der Jahrestag gibt Grund zur Freude aber lässt und auch innehalten. Dass die nationalen autochthonen Minderheiten Gehör finden, ist großartig und keine Selbstverständlichkeit. Gerade wenn ParlamentarikerInnen am Rednerpult das Wort auf Platt, Dänisch oder Friesisch ergreifen, erhalten die Sprachen unserer nationalen Minderheiten eine seltene Sichtbarkeit in unserer Gesellschaft. Das ist ein politisches Zeichen, das die Vielfalt in unserem Land stärkt.

Allerdings machen Menschen, die eine der Regional- und Minderheitensprachen sprechen, mitunter immer noch andere, negative Erfahrungen. Ein Bericht einer jungen Frau aus meinem Wahlkreis ist mir im Gedächtnis geblieben. Als im vergangenen Jahr die Bundestagspräsidentin Bärbel Bas auf meine Einladung Flensburg besuchte, kamen wir mit Jugendlichen aus den nationalen Minderheiten zusammen, um uns mit ihnen auszutauschen. Die junge Frau erzählte uns, dass man sie in der Schule aufgefordert hatte, das Sprechen von Friesisch und Plattdeutsch zu unterlassen. Das würde "dumm" klingen und ihr Nachteile für ihre Karriere bereiten. Auch wenn die Erfahrung der jungen Frau kein Einzelfall sein wird, war ich sprachlos. Dabei muss die Stigmatisierung nicht immer so offensichtlich und abfällig sein. Manchmal ist es auch schlicht der unpassende Umgang, der sich in unangebrachten Verniedlichungen ausdrückt.

Förderung von nationalen Minderheiten eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe

Was nicht "böse" gemeint sein mag, trifft die Betroffenen häufig besonders, weil ihre Sprache ein wichtiger Teil und Ausdruck ihrer kulturellen Identität ist. Sprache und Kultur sind eng miteinander verbunden. Über einzigartige Merkmale einer Sprache, wie idiomatische Ausdrücke, grammatikalische Strukturen und Vokabular selbst, reproduziert sich auch eine dazugehörige Kultur. Die Verbindung zwischen Minderheiten und ihren Sprachen ist mitunter zutiefst emotional und identitätsstiftend. Sie transportiert ein Jahrhunderte altes kulturelles Erbe. Es ist für Minderheiten ein entscheidender Aspekt ihres kulturellen Lebens, Sprache hochleben zu lassen.

Stefan Seidler, geboren am 18. Dezember 1979 in Flensburg, ist seit 1996 im Südschleswigschen Wählerverband (SSW) – der Partei der dänischen und friesischen Minderheit – politisch aktiv. 2021 zog er für die Partei als einziger Abgeordneter in den Deutschen Bundestag ein. 2007 war er EU-Programm-Manager für das deutsch-dänische Förderprogramm "Interreg", danach bei der süddänischen Regionalregierung politischer Berater für die Zusammenarbeit im deutschdänischen Grenzland. Von 2014 bis zum Einzug in den Bundestag war er zudem Koordinator der schleswig-holsteinischen Landesregierung für die Zusammenarbeit mit Dänemark. Seidler selbst spricht die Minderheitensprachen Dänisch und Plattdeutsch. 

Für eine liberale Gesellschaft, die Vielfalt respektiert und lebt, geht die Förderung regionaler und Minderheitensprachen nicht nur die betroffenen Menschen selbst an. Der Schutz und die Förderung von Regional- und Minderheitensprachen ist vielmehr ein Teil einer lebendigen, pluralistischen Kultur, der wir uns auf der Basis der fundamentalen Prinzipien unseres Gemeinwesens verpflichtet fühlen. Neben der Sichtbarkeit ist deshalb die Förderung von nationalen Minderheiten — ihrer Sprache und Kultur — für mich eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

Weil die Förderung derzeit mehr einem Hangeln von Jahr zu Jahr gleicht, sehen sich die in Deutschland beheimateten Minderheiten mit den immer gleichen Herausforderungen konfrontiert. Aufgrund des Ausbleibens von dauerhaften Förderungen bleibt den Betroffenen häufig nicht mehr als Projektmittel. Projektmittel lassen aber, sofern sie denn überhaupt jährlich erneut bewilligt werden, keine Ausschreibungen von fest verankerten Vollzeitstellen zu und raubt den Minderheitenorganisationen so jegliche Möglichkeit einer kontinuierlichen kulturellen Arbeit. Das trifft nicht allein, aber besonders den Sprach- und Forschungsbereich der Minderheiten. Jedes Jahr auf das Neue sind Bildungs- und Forschungsprogramme auf den guten politischen Willen angewiesen und von ihm abhängig.

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© Carsten Rehder / DPA
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Es geht nicht nur um Finanzierung

Ohne dauerhafte staatliche Förderung bleiben damit nur ehrenamtliche Strukturen, um die Regional- und Minderheitensprachen langfristig am Leben zu halten. Das Ergebnis ist, dass sie kulturell oft auf verlorenem Posten sind. Das können wir gesellschaftlich und politisch eigentlich nicht wollen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Nichts ist falsch daran, wenn sich Menschen in ihrer Freizeit aus freien Stücken engagieren. Ganz im Gegenteil ist ehrenamtliche Arbeit wertvoll und ein wichtiger Teil einer aktiven Gesellschaft. Allerdings besteht ein oft existenzieller Unterschied zwischen dem Profitieren von Ehrenamt und dem zutiefst darauf angewiesen sein. Nicht zuletzt deshalb ist ein politisches Bekenntnis, eine kulturelle Subsistenz für unsere Regional- und Minderheitensprachen zu garantieren, geboten.

Natürlich geht es bei Förderung nicht nur um eine verlässliche finanzielle Ausstattung. Nicht zuletzt deshalb möchte ich mich den Forderungen des Minderheitenrates an die Kultusminister der Länder und gemäß Artikel 7(3) der Europäischen Regional- und Minderheiten Charta anschließen. Die Wissensvermittlung zu den autochthonen Minderheiten und ihren Sprachen in Deutschland muss gestärkt und bundesweit in die Rahmenlehrpläne aufgenommen werden. Es ist von großer politischer und gesellschaftlicher Bedeutung, dass wir dem Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der Charta entgegnen. Wir müssen uns bewusst machen, dass Deutschlands Minderheiten und Volksgruppen unsere Gesellschaft vielfältiger machen und einen gesellschaftlichen und kulturellen Mehrwert bedeuten.

Minderheiten gehen uns alle an

Wichtig ist, dass dieser Austausch nicht auf die Regionen beschränkt sein sollte, in denen die Minderheiten leben. In meiner Heimat in Schleswig-Holstein leben zum Beispiel drei der vier autochthonen Minderheiten. Natürlich sollten die Regionen "ihre" Minderheit kennen, das bedeutet aber nicht, dass Minderheiten nur regional relevant sind. Sie gehen uns alle an. Dort, wo kaum Minderheiten zu finden sind und ihre Kultur und Sprache nicht Teil des Alltags sind, ist Wissen und Kommunikation über Minderheiten genau so bedeutsam wie in den Regionen in denen sie gegenwärtig sind.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Auch wenn es noch viel zu tun gibt. Der erste Schritt, die Aufmerksamkeit in Richtung Minderheiten zu verstärken und verstetigen ist, sie zu einem sichtbaren Bestandteil der öffentlichen Debatte zu machen. Diesen wichtigen Schritt gehen wir heute gemeinsam im Bundestag.

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