Neonazis in Bayern "Polizei behindert Demos gegen Rechts"

Die Messerattacke auf den Passauer Polizeichef hat auch das kleine fränkische Örtchen Gräfenberg geschockt. Seit Jahren marschieren hier Rechte im Monatstakt auf. Eine Initiative wehrt sich dagegen. stern.de hat mit Sprecher Michael Helmbrecht über Rechte in Bayern, demokratische Gegenwehr und die unrühmliche Rolle der Polizei gesprochen.

Herr Helmbrecht, angesichts der Messerattacke auf den Passauer Polizeichef spricht der bayerische Innenminister Joachim Herrmann von einer "neuen Dimension" rechter Gewalt. Hat er Recht?

Ja. Der Versuch einen leitenden Polizisten zu ermorden, also gegen die Staatsmacht vorzugehen, ist eine neue Qualität. Allerdings gehören Drohungen und Gewalt gegen politisch Andersdenkende oder Menschen, die anders aussehen, in Deutschland zur Tagesordnung.

Woran liegt es, dass Rechte nun offenbar die Scheu verlieren, direkt den Staat anzugreifen?

Bislang weiß man noch recht wenig über diese Tat - etwa, ob es einen politischen Hintergrund hat oder ob da ein verwirrter Rechtsextremer am Werk war.

Bei der Polizei herrscht ein großer Corpsgeist, sie wird vermutlich den Fahndungsdruck erhöhen. Glauben Sie, dass sich die Polizei gegenüber Rechtsextremen in Zukunft anders verhalten wird?

Das wäre eine sehr wünschenswerte Konsequenz aus diesem tragischen Vorfall. Die Polizei muss verstehen: Nur weil sich die Rechten an die Versammlungsgebote halten, ist Rechtsextremismus noch lange kein "Kinderspiel". Die Gefahr geht nicht von den Gegendemonstranten aus, wie mancher Beamte denkt. Bislang hat sich die bayerische Polizei im Allgemeinen jedenfalls nicht besonders in ihrer Arbeit gegen Rechte hervorgetan.

Inwiefern?

Unsere Gemeinde ist seit einiger Zeit zum Hauptaufmarschgelände der bayerischen NPD geworden. Wir haben in den letzten zwei Jahren 34 Aufmärsche gehabt und immer wieder gesehen, wie kritikwürdig sich auch die Polizei dabei teilweise verhält. Uns als Demokraten, also denjenigen, die sich gegen die Rechten zur Wehr setzen, wird oft indirekt vorgehalten: 'Wenn ihr hier nicht protestieren würdet, dann wäre alles nur halb so schlimm'.

Wie erklären Sie sich das? Gibt es eine Grundsympathie in der Polizei gegenüber den Rechten?

So weit würde ich nicht gehen. Die Polizei ist aber vor allem daran interessiert, ihre eigene Logik durchzusetzen: also Ordnung zu organisieren. Doch sie muss auch daran interessiert sein, die Demokratie zu schützen. Und die wird eben maßgeblich auch von zivilgesellschaftlich engagierten Bürgern gestützt, deren Engagement nicht von der Polizei behindert werden sollte.

Zur Person

Michael Helmbrecht, 50, ist Dozent für Soziale Arbeit an der Ohm-Hochschule Nürnberg und Sprecher des Bürgerforums Gräfenberg. Der kleine Ort in der Nähe von Bamberg ist seit Jahren regelmäßig Anlaufstelle von rechten Demonstranten. Die Initiative "Gräfenberg ist bunt" organisiert Gegendemonstrationen. Allein seit 2006 gab es 34 NPD-Aufmärsche.

stern

-Aktion

Mut gegen rechte Gewalt

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Wie sehen solche Behinderungen aus?

Es gibt das absurde Beispiel, dass Achtjährige darauf hingewiesen wurden, doch bitte ihren Schal aus dem Gesicht zu nehmen, weil sie sonst gegen das Vermummungsverbot verstoßen würden. Und auch die Anwesenheit einiger Linker ist der Polizei ein Dorn im Auge.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Wie meinen Sie das?

Unser Bündnis hat bereits mehrere Preise bekommen, auch weil es besonders breit aufgestellt ist - wir wollen alle von der CSU bis zur Antifa. Und das gelingt uns auch weithin. Allerdings gefällt der Polizei unsere Kooperation mit den friedlichen Kreisen der Antifa nicht. Und wenn es nach der Polizei ginge, sollten wir uns von den Linken lossagen. Leider werden diese jungen Leute von Beamten oft drangsaliert, denn ihnen wird per se unterstellt, es handele sich um potenzielle Gewalttäter. Dabei ist bei keinem unserer Proteste je ein Stein geworfen worden.

Und wenn das passieren würde?

Würden wir uns von den Tätern natürlich distanzieren. Was allerdings zur Folge hätte, dass der Widerstand gegen die Rechten geschwächt werden würde.

Herr Mannichl war offensichtlich eine Ausnahme und hatte sich klar gegen Rechte gestellt

Ja. Auf der Internetseite der bayerischen NPD wurde er auch offensiv an den Pranger gestellt. Nicht als einziger übrigens. Die Polizei unternimmt nichts dagegen, dass die Neonazis nach Belieben die Gegendemonstranten filmen und fotografieren. Gegen die Mitorganisatorin und mich wurde jüngst ein Flugblatt verteilt, in tausendfacher Auflage mit unseren Bildern darauf. Darauf werden wir als "Feinde der Gemeinschaft" dargestellt und die Menschen hier in der Gegend aufgefordert, etwas gegen uns zu tun.

Haben Sie etwas dagegen unternommen?

Wir haben Anzeige gestellt, doch die Staatsanwältin sagte, wir seien Personen des öffentlichen Lebens, da könne man nichts machen. Ich bin gespannt, ob vor dem Hintergrund des Anschlags auf den Passauer Polizisten diese Angelegenheit nun neu beurteilt wird. Vor einiger Zeit haben vor meinem Haus Neonazis drei Tage am Stück protestiert - wir standen drei Tage und Nächte unter Polizeischutz. Die Aktion der Rechtsextremisten war ein zielgerichteter Versuch, uns einzuschüchtern.

Wie sieht die Situation der Rechten in Bayern allgemein aus?

In Bayern gibt es manifeste Szenen und Kameradschaften, auch gewaltbereite. In den letzten Monaten sind wir immer wieder damit vertröstet worden, dass ja das Versammlungsrecht verschärft wird - die bayerische Antwort auf den zunehmenden Rechtsextremismus. Damit aber wurde einer der prominentesten Rechtsgüter der Bundesrepublik eingeschränkt, was wir eindeutig ablehnen. Auch wenn wir ständig von den Neonazis drangsaliert werden. Aber das Versammlungsrecht ist die falsche Stellschraube.

Was fordern Sie stattdessen?

Was wir brauchen ist ein NPD-Verbot, weil diese Partei ein geistig-moralisches Klima schafft, aus dem heraus eben solche Fälle wie jetzt in Passau entstehen. Natürlich würde ein Verbot unterlaufen werden, aber auch eindeutig gezeigt, was in diesem Land nicht erwünscht ist. Daneben gibt es eine Vielzahl von Dingen: Präventionsarbeit in Kindergärten und Schulen. Schon mit jungen Menschen über Ausgrenzung sprechen, über Mobbing, über Umgang mit dem Fremden. Natürlich müssen auch die Eltern stark gemacht werden, solche Gespräche zu führen.

Schon länger finden sich Rechtsextreme nicht nur in sozialen Randgruppen. Auch Schüler, Akademiker und Durchschnittsbürger wählen oder denken rechts. Warum?

Was oft zu kurz kommt, ist, dass viele Alte, also die Großeltern oder Urgroßeltern immer noch die deutsche Geschichte schönreden. Deren Einfluss sollte man nicht unterschätzen. Studien haben zudem ergeben, dass Rechte auch in prosperierenden Gegenden punkten können. Auch, weil es ihnen immer besser gelingt, ihre Gedankenwelt als Lifestyle zu verkaufen. Von den Klamotten über die Musik bis hin zum "erlebnispädagogischen Protestbad" bei Demonstrationen. Und sicher gibt es nicht wenige Jugendliche, die Rechtsextremismus als letztes Tabu sehen, ihre Eltern zu schocken um sich so von ihnen abzugrenzen.

Interview: Niels Kruse