Gerade in den Augen frisch gewendeter Atomkraftgegner in den Reihen von Union und FDP dürfte dieses Wochenende wie ein Traum erscheinen: Da schwört der neogrüne CSU-Chef Horst Seehofer seine Parteispitze am Freitag auf einen Komplettausstieg bis 2022 ein, vollzieht eine brutalstradikale Wende - und just an den Folgetagen probt das Land schon mal den Ausstieg light. Vorübergehend sind nur vier der insgesamt 17 deutschen Atomkraftwerke am Netz.
Bedeutet das, dass jetzt die Lichter ausgehen? Müssen Sie um die Früchte des Elektrogrills oder den Fußballabend bangen, weil der Fernsehbildschirm schwarz bleiben wird? Die Bundesnetzagentur Gibt sich gelassen, die Gefahr eines Blackouts sieht sie nicht. "Die Lage ist kritisch, aber noch beherrschbar", sagte ihr Präsident Matthias Kurth der "Passauer Neuen Presse". Die Netzbetreiber seien vorbereitet und steuerten gegen. Zudem liege der Stromverbrauch derzeit auch nicht auf Spitzenniveau.
Für rund eine Woche liefern nur noch 4 der 17 Atommeiler Strom. Neben den im Rahmen des Atommoratoriums stillstehenden acht AKW und vier weiterer wegen Wartungsarbeiten abgeschalteten Anlagen geht auch das RWE-Kernkraftwerk Emsland bei Lingen für drei Wochen vom Netz.
"Es wird viel Solarenergie produziert"
Der Präsident der Bundesnetzagentur geht dennoch davon aus, dass das Netz stabil gehalten werden kann. "Revisionsarbeiten bei einem Kohlekraftwerk wurden verschoben", sagte Kurth. Die Situation werde auch dadurch etwas entschärft, "dass wir durch viel Sonnenschein derzeit viel Solarenergie produzieren."
Anders wäre es im Winter. "Dann haben wir es mit hohem Verbrauch zu tun, aber vergleichsweise wenig Einspeisung aus Solarenergie im Süden", sagte Kurth. Aber wenn es im Sommer durch lange Hitzeperioden zu Niedrigwasser in den Flüssen komme, könnte die Lage ebenfalls kritisch werden. "Kraftwerke, die auf Kühlung angewiesen sind, müssen bei Niedrigwasser eventuell abgeschaltet werden. Das betrifft nicht nur Kernkraftwerke, sondern kann auch konventionelle Kraftwerke betreffen."
Wer soll wie über den Ausstieg entscheiden?
Während Experten also mit gespannter Neugier den Verlauf des Ausstiegs light verfolgen, diskutiert die Politik auch jenseits der CSU weiter über das weitere Vorgehen in der Atompolitik. Grünen-Chef Cem Özdemir kritisierte den Vorstoß des CDU-Wirtschaftsrates für einen Volksentscheid zur Atompolitik als "durchsichtiges Ablenkungsmanöver". Grundsätzlich seien die Grünen für mehr Beteiligung der Bürger, sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Wenn die Union dies jetzt plötzlich auch wolle, müsse sie im Bundestag eine Verfassungsänderung zur Regelung der direkten Demokratie einbringen.
Die Grünen im Bundestag fordern auch eine Überarbeitung der Flugrouten, um das Unfall- und Anschlagsrisiko für AKW zu minimieren. "Wenn nach Fukushima Sicherheit wirklich zum höchsten Maßstab wird, muss man sich wohl auch solche Maßnahmen überlegen", sagte die atompolitische Sprecherin, Sylvia Kotting-Uhl, der "Frankfurter Rundschau". Zurzeit führen die Flugrouten von Verkehrsmaschinen uneingeschränkt auch über Atommeiler. "Ein Ausschlusskriterium bei der Routenerstellung (...) sind Atomkraftwerke nicht", sagte eine Sprecherin der Deutschen Flugsicherung dem Blatt.
Auch Mittelstand ist jetzt für Ausstieg
Ein eigenes Konzept für eine Energiewende kündigte der Bundesverband mittelständische Wirtschaft an. Aus Sicherheitsgründen sei auch der Mittelstand für einen Atomausstieg, sagte sein Präsident Mario Ohoven im Deutschlandradio Kultur. Nur gehe dies nicht von heute auf morgen. Besonders die Kosten seien für den Mittelstand ein zentraler Punkt. Schon heute machten die Energiekosten im Durchschnitt zehn Prozent der Gesamtkosten eines mittelständischen Betriebs aus. "Die Energie muss bezahlbar bleiben, wir brauchen Versorgungssicherheit, und ein wichtiger Aspekt ist die Nachhaltigkeit", sagte Ohoven.