Gibt es, aus demoskopischer Sicht, nach dem Hamburger SPD-Parteitag eine neue SPD? Eine SPD mit klarer Führung auf neuem Kurs?
Wie so oft auf SPD-Parteitagen hat man in Hamburg die Seelen der Funktionäre gestreichelt, nicht aber die der Wähler. Die SPD braucht, wenn sie stärkste Partei werden will, 20 Millionen Wähler. 1998 hat sie die mit Gerhard Schröder noch erreicht. 2002 waren es noch 18 Millionen, zurzeit liegt die Partei, hochgerechnet aus Umfragen, bei elf Millionen Wählern. Ob die SPD mit diesem Parteitag die weggelaufenen Wähler beeindruckt, ist - höflich gesagt - ziemlich unwahrscheinlich.
Wenn also Parteichef Kurt Beck und die SPD mit dem Parteitag die Hoffnung verknüpfen, bald in den Umfrageziffern besser dazustehen, so ist das Ihrer Meinung nach eine Illusion?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die SPD durch diesen Parteitag neue Wähler gewonnen hat.
Die Botschaft von Hamburg ist: Die SPD rückt wieder nach links, also werden wir wieder gewinnen.
Die SPD hat noch nie Wahlen damit gewonnen, dass sie die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter für sich gewann. Sie musste im bürgerlichen Lager Wähler holen, aus der Mitte welche auf ihre Seite ziehen. Die Bandbreite er SPD muss von links bis weit in die Mitte reichen, um mehrheitsfähig zu werden.
Aber die SPD räumt doch die Neue Mitte gerade.
Genau das ist das Problem: Indem die SPD die Mitte räumt, verliert sie noch mehr Wähler, als sie ohnehin schon verloren hat. Sie hat schon 1982, nachdem sie Helmut Schmidt gemeuchelt hatte, viele Schmidt-Wähler in der Mitte verloren und erst mit Schröder 1998 wieder zurück gewonnen. Dieses Potenzial dürfte jetzt endgültig wieder verloren sein.
Zur Person
Manfred Güllner, Jg. 41, ist Soziologe, Sozialpsychologe und Betriebswirt. Er ist Gründer und Geschäftsführer des Meinungsforschungsinstituts Forsa.
Eine These besagt aber, dass es in Deutschland eine Mehrheit links der Mitte gibt. Eine Mehrheit, die sich einig ist im Ruf nach mehr sozialer Gerechtigkeit und auch in der Angst vor sozialem Abstieg. Ist da der Ruck nach links nicht konsequent?
Ich halte die These von einer Mehrheit links der Mitte für unbewiesen. Die hat ein Institut mit Sitz in London ermittelt. Es gibt eine Mehrheit jenseits der Unionsparteien, die ihre strukturelle Mehrheit verloren hat, aber keine linke Mehrheit. Auch die Tatsache, dass 80 Prozent für den Mindestlohn sind und 80 Prozent für ein längeres Arbeitslosengeld, beweist nichts. Die Menschen denken dabei, ja, warum denn nicht. Aber daraus zu schließen, dass die Menschen im tiefsten Herzen links geworden sind, das ist schlicht Quark. Eine krasse Fehleinschätzung der SPD. Und wenn sie denn links etwas holt, nützt das nichts, wenn sie dann in der Mitte verliert. Sie muss auch dort ihre Wähler behalten. Das wird ihr auf dem neuen Kurs nicht gelingen.

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Ist Becks Weg zurück hinter die Agenda 2010 nicht wenigstens ein guter Schachzug gegen Die Linkspartei?
Auch das ist eine Fehleinschätzung. Wer aus populistischen Gründen ein extremes Original überbieten will, wird immer scheitern. Das funktioniert rechts nicht und links nicht. Damit stärkt man nur das Original. Da sagen die Wähler: Da wähle ich doch gleich das Original. Die CSU macht das besser. Sie lässt auf der Rechten keine Konkurrenz zu und macht dort mit ihrer eigenen Politik dicht. Der SPD wird es nicht gelingen, Die Linkspartei links zu überholen.
Hat es in der Nachkriegszeit jemals einen so dramatischen Stimmungsumschwung gegeben, wie ihn die SPD sich nach Hamburg erhofft?
Es gab 1982, nachdem die SPD Helmut Schmidt gemeuchelt hatte, ein frohes Aufatmen in der SPD. Endlich war der böse Schmidt weg. Man feierte wieder fröhliche Parteitage und sah sich ganz auf der Höhe der Zeit, obwohl man die Schmidt-Wähler in der Mitte vergrault hatte. Was geschah? Es dauerte bis 1998, also 16 Jahre, bis die SPD wieder an die Macht kam. Das kann man mit der Situation von heute vergleichen: Endlich ist der böse Schröder weg, denkt die SPD - und vergisst, dass der Niedergang der SPD ja auf lokaler Ebene und auf Landesebene schon lange vor 1998 begonnen hat. Schröder hat es geschafft, ihn wenigstens auf Bundesebene aufzuhalten. Dabei hat ihm geholfen, dass die Wähler Helmut Kohl nicht mehr sehen konnten.
Kommt aus demoskopischer Sicht die Ernüchterung für die SPD nach den Landtagswahlen im Frühjahr?
Die SPD ist groß darin, die Realität auszublenden. Ich glaube daher nicht, dass die Landtagswahlen die Einsichtsfähigkeit von Herrn Beck befördern werden, dass er auf dem falschen Weg ist.
Also keine beachtlichen SPD-Zugewinne?
Nein. Die Wahlchancen sind nicht besser geworden. Glaube doch keiner, dass etwa die Niedersachsen jetzt stärker SPD wählen. Die sehen sich Herrn Jüttner an, und dann wollen sie lieber ihren Ministerpräsidenten Wulff behalten. Und von den Genossen werden viele verscheucht zuhause bleiben.
Wenn die SPD in Berlin jetzt stärker auf Konfrontation mit Angela Merkel geht, zahlt sich das für sie aus?
Das kommt darauf an, wo die Union jetzt dagegen hält. Sagt die Union etwa beim Tempolimit 130 auf Autobahnen Nein, dann wird ihr das mehr nützen als der SPD. Auch mit der Verlängerung des Arbeitslosengeldes kann man keine Wähler fangen. Davon profitiert eine Minderheit. Aber die Mehrheit erwartet, dass man Arbeit schafft und nicht über die Verteilung von Almosen nachdenkt.
Kommt Angela Merkel also nicht stärker unter politischen Druck?
Dass sie stärker unter innenpolitischen Druck kommt, sehe ich nicht. Im Gegenteil: Sie hat jetzt die Gelegenheit, sich und die Union wieder abzugrenzen. Der Hamburger Parteitag spielt Merkel in die Hände. Er hat ihre Macht eher stabilisiert als geschwächt. Genau so wie die SPD nach 1982 alles getan hat, um Helmut Kohl zu stärken.
Interview: Hans Peter Schütz