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Parteitag in Kalkar "In Deutschland grassiert das Virus – und auf der Intensivstation liegt die AfD"

Alice Weidel, stellvertretende Bundessprecherin der AfD, steht beim Bundesparteitag in Kalkar
Alice Weidel, stellvertretende Bundessprecherin der AfD, steht beim Bundesparteitag in Kalkar auf dem Podium
© Rolf Vennenbernd/dpa
Der Parteitag der AfD in Kalkar hat deutlich aufgezeigt, wie der Richtungsstreit die eigenen Reihen in zwei unversöhnliche Lager teilt. Vor allem Chef Meuthen wirkt dabei ziemlich fremd im eigenen Haus. Die Pressestimmen.

Die AfD hat ihr Programm um ein sozialpolitisches Konzept ergänzt und damit vor der Bundestagswahl 2021 eine bislang bestehende inhaltliche Lücke geschlossen. Der Bundesparteitag in Kalkar verabschiedete am Samstag einen entsprechenden Antrag mit Leitlinien zur Gesundheits-, Renten- und Pflegepolitik. Fast 89 Prozent der gut 500 Delegierten stimmten für das Konzept.

Überlagert wurde der Parteitag von einem Streit über den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen, der seine Partei in seiner Eröffnungsrede zur Distanzierung von Krawallmachern und Provokateuren in den eigenen Reihen aufrief und mehr "innerparteiliche Disziplin" anmahnte. Kritiker forderten ihn daraufhin am Sonntag auf, mit seinem "Spalterkurs" aufzuhören.

Die Pressestimmen zum AfD-Parteitag

Die Differenzen in den eigenen Reihen der AfD sind daher auch ein zentraler Punkt für die Presse bei ihrem Blick auf den Parteitag.

"Frankfurter Allgemeine Zeitung": "Die große Mehrheit der AfD aus den westlichen Landesverbänden zeigte sich erstaunlich gut organisiert und stellte sich hinter Meuthen, auch wenn sie Teile seiner Rede überspitzt fanden. Die lautstarke Minderheit aus dem Osten, das Höcke-Lager, geriet in die Defensive. Während Meuthen Führung zeigte, fiel der Nimbus von Björn Höcke als Führungsfigur in Kalkar endgültig in sich zusammen. (...)

Noch etwas ist deutlich geworden in Kalkar: der Konflikt zwischen Meuthen und Gauland. Der Parteichef griff den ehemals so starken Fraktionschef im Bundestag offen an. Gauland hatte es stets im Namen der Einheit abgelehnt, so zu führen, wie Meuthen es jetzt tut. Dabei wurde er zum Schirmherr der Radikalen in der Partei. Meuthen will mit seinem Kampf eine Beobachtung der gesamten AfD durch den Verfassungsschutz verhindern (...)."

"Mannheimer Morgen": "Hygienetechnisch war das AfD-Treffen kein Problem, die Delegierten haben sich weitgehend an die Regeln gehalten. Trotzdem muss die Partei sich fragen, was es gebracht hat, die Veranstaltung durchzuziehen. Denn von ihr bleiben zwei Erkenntnisse: Der Versuch, immer die jeweiligen Wutbürger zu mobilisieren, ist kurzatmig. Und in der Sozialpolitik hat die Partei wenig zu bieten. Die sieben Prozent in den Umfragen sind noch geschmeichelt."

"Kölner Stadt-Anzeiger": "Die Rechtspartei zerfällt in zwei fast gleich große Teile. Der eine will Bewegungspartei sein, paktiert mit Rechtsextremen oder ist selber rechtsextrem. Bundestags-Fraktionschef Alexander Gauland steht fest an der Seite dieses Bewegungsflügels. (...)

Parteichef Jörg Meuthen hält die Einstufung der Gesamt-AfD als 'Verdachtsfall' für kaum noch abwendbar, dennoch kämpft er um die bürgerliche Rest-Klientel. Nach Punkten, also Wahlergebnissen, geht Meuthen als knapper Sieger aus diesem Parteitag hervor. (...) Die AfD geht maximal gespalten ins Wahljahr 2021. Der eigentliche Anlass des Parteitags, die Verabschiedung eines Sozial- und Rentenprogramms, geriet völlig in den Hintergrund."

"Neue Osnabrücker Zeitung": "Der andauernde Selbstfindungsprozess der AfD hat die Partei immer weiter an den rechten Rand des politischen Spektrums geführt. Warum warnt Parteichef Meuthen gerade jetzt, weiter den Pfad der (Verbal-) Radikalisierung zu beschreiten? Die eindeutigen Signale aus Verfassungsschutzbehörden, die Partei und die verfassungsfeindlichen Tendenzen in Teilen der Mitgliedschaft im Blick zu haben, dürften ein Grund sein, die sinkenden Umfragewerte ein anderer.

Ob sich im Superwahljahr 2021 noch einmal so viele Protestwähler finden, die die AfD-Funktionäre mit gut dotierten Mandaten ausstatten, wenn die Partei sich vorrangig um sich selbst dreht? Meuthen hat das erkannt, während andere den Weg der Radikalisierung offenbar weiter beschreiten wollen, trotz der Gefahr, viele Wähler damit zu verprellen."

"Hannoversche Allgemeine Zeitung": "Meuthen hält die Einstufung der Gesamt-AfD als "Verdachtsfall" für kaum noch abwendbar, dennoch kämpft er um die bürgerliche Restklientel. Und eine gute Hälfte der Partei zieht mit. Nach Punkten, also Wahlergebnissen, geht Meuthen als knapper Sieger aus diesem Parteitag. Alle Nachwahlen zum Parteivorstand gingen in seinem Sinne aus, er hat im Führungsgremium der Partei nun eine komfortable Mehrheit.

Zugleich hat er die Bundestagsfraktionsspitze mit Gauland, Alice Weidel und Tino Chrupalla irreparabel vor den Kopf gestoßen. Die AfD geht maximal gespalten ins Wahljahr 2021. Der eigentliche Anlass des Parteitags - die Verabschiedung eines Sozial- und Rentenprogramms - geriet völlig in den Hintergrund."

"Münchner Merkur": "In Deutschland grassiert das Virus. Und auf der Intensivstation liegt mit der AfD ausgerechnet die Partei, die nicht müde wird, seine Gefährlichkeit zu bestreiten. Alexander Gauland im Rettungswagen: Wie ein düsteres Sinnbild steht der abrupte Abschied des Fraktionschefs vom AfD-Parteitag für die desolate Lage der Partei: Da ist die Schlacht zwischen Bürgerlichen und Rechtsextremen, der Absturz in den Umfragen, der beispiellose, an Weimar erinnernde Tabubruch durch rechte Pöbler im Bundestag.

All das hat Gauland, auf den die Attacke von Parteichef Meuthen maßgeblich zielte, nicht allein zu verantworten. Aber er lieh den Radikalen das bürgerliche Gesicht, die Maske, hinter der sich die Wandlung der AfD von einer konservativen Protestpartei in eine völkische, teils rechtsextreme Bewegung vollzog."

"Augsburger Allgemeine": "Auch wenn jetzt einige eher gemäßigte Funktionäre in den Vorstand aufgerückt sind, wirkt Meuthen mit seinem moderaten Kurs wie ein Fremder im eigenen Haus. Ton und Takt geben dort die radikalen Untermieter an, die nach dem Vorbild der Flüchtlingskrise versuchen, dem Protest gegen die Corona-Politik eine Stimme zu geben.

Dass das nicht funktioniert, zeigt ein Blick in die Umfragen, in denen die Rechtspopulisten deutlich unter den 12,6 Prozent der letzten Bundestagswahl liegen. Kalkar wird daran nichts ändern. Die AfD zerlegt sich selbst - und Jörg Meuthen wird sich irgendwann fragen müssen, ob sie überhaupt noch seine Partei ist."

tim

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