Den absoluten Peak erreichten die Demonstrationen im oberfränkischen Guttenberg. Rund 2000 Menschen zogen durchs Dorf, darunter Schlossherr Enoch zu Guttenberg, Vater des zurückgetretenen Verteidigungsministers. Die Plagiatsaffäre sei eine "Menschenjagd" auf seinen Sohn gewesen, sagte Enoch. In Berlin, dem politischen Herz der Republik, tummelten sich bei Eiseskälte nur etwa 150 Menschen vor dem Brandenburger Tor. Die Hälfte davon warf sich für "KT" ins Zeug, die andere Hälfte waren Spötter. Sie trugen Transparente wie "Du hast die Haare schön", "Gutti muss Kaiser werden!" oder auch "Gut. Gott. Guttenberg". In Hamburg war der Protestzug ebenfalls gemischt und noch übersichtlicher.
Eine Volksbewegung sieht anders aus. Nicht jeder, der auf den "Gefällt mir"-Button klickt, ist ein Aktivist, der im Zweifel die Couch verlässt. Anders ist die Diskrepanz nicht zu erklären. Allein auf der Facebook-Seite "Wir wollen Guttenberg zurück" hat sich mehr als eine halbe Million Menschen zusammengefunden. Wo sind sie an diesem Samstag geblieben? Zuhause.
Die Umfragen kippen
Ein Grund dafür könnte der aktuelle Stimmungswandel sein. Laut einer Forsa-Umfrage für den stern hat Guttenberg zwischen Ende Januar und Ende Februar sehr viel Sympathie eingebüßt. Nur noch 47 Prozent der Befragten halten ihn für gradlinig (minus 20 Prozentpunkte). Nur noch 34 Prozent für glaubwürdig (-24). Und nur 26 Prozent für vorbildlich (-25). Das Ergebnis dieses Vertrauensverlusts lässt sich an einer Infratest-Dimap-Umfrage für den "Spiegel" ablesen. Dort gaben 60 Prozent an, sie hielten Guttenbergs Rücktritt für richtig. Nur 34 Prozent waren dagegen. Offenbar sickert langsam die Erkenntnis durch, dass Guttenbergs doch kein Waisenknabe ist.
In ersten TV-Umfragen gab es viel Verständnis, wenn nicht gar Sympathien für die Schummeleien Guttenbergs. Oft flankiert von der Beichte, bei einer Mathearbeit auch mal abschrieben oder eine Spickzettel benutzt zu haben. Dass diese Schülersünden etwas gänzlich anderes sind als das - auch strafrechtlich relevante - Erschleichen eines Doktortitels, war nicht jedem präsent. Akademiker, die sich mit Zitationsregeln und Fußnoten auskennen, sind immer in der Minderheit.
Schrille Kommentare im Netz
Auf Facebook und in anderen Diskussionsforen des Internets wiederum ist der Ton der Debatte weit schriller als in den Medien. Zu beobachten ist ein massives Unbehagen an der politischen Klasse schlechthin und eine scharfe Kritik an der "linken Mediendiktatur", die Guttenberg erst zu Fall gebracht habe. Als einzig aufrechtes Medium wird dort die "Bild" gesehen, die bis zur letzten Sekunde publizistisch Schulter an Schulter mit dem Verteidigungsminister kämpfte. Zieht hier eine Schlechtwetterfront für die gesamte Demokratie auf?
"Die Unzufriedenheit ist schon länger da. Neu ist, dass sie auf einmal sichtbar wird", sagt Markus Beckedahl, Betreiber des Politik-Blogs Netzpolitik.org. Das Internet habe dafür die technische Voraussetzung geschaffen. "Jetzt wird das RTL2-Publikum sichtbar - das auch eine Stimme bekommt", sagt Beckedahl. "Es ist ein anderes Publikum als das klassische Bildungsbürgertum, das haben wir so noch nicht gesehen." Doch diese Erklärung greift vermutlich zu kurz. Denn die Unzufriedenheit mit politischen Prozessen ist eine allgemeine.
Politiker, die Nicht-Politiker spielen
Die Indikatoren sind jedenfalls eindeutig. Die Zahl der Nichtwähler wächst beständig, bei der Hamburg-Wahl gaben nur noch knapp 58 Prozent der Bürger ihre Stimme ab. Andererseits jubeln die Deutschen Politikern zu, die sich inszenieren, als seien sie nicht Teil der politischen Klasse, sondern Bürgervertreter, die unbequeme Wahrheiten offen aussprechen und auf die Parteien pfeifen. Horst Köhler, der "Bürgerpräsident" war so einer, Thilo Sarrazin, der mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" wochenlang die Schlagzeilen beherrschte, Karl-Theodor zu Guttenberg, ja, auch Helmut Schmidt, der als Gewissen der Nation gilt. Dagegen sehen die Mandatsträger in Parlament und Regierung grau und alt aus. Aber sie müssen sich eben um das mühselige, demokratische Alltagsgeschäft kümmern. Das bedeutet: keine kühnen, einsamen Entschlüsse. Sondern nur mehr oder weniger geglückte Kompromisse.
In der Union grassierte sofort nach dem Rücktritt Guttenbergs die Sorge, er könnte eine eigene Partei gründen. Im Fall Sarrazin äußerten in Umfragen mehr als 10 Prozent der Wähler, sie würden für ihn stimmen. Auch Friedrich Merz und Roland Koch standen kurzzeitig in Verdacht, künftig auf eigene parteipolitische Rechnung zu agieren. "Hätten wir einen Rechtspopulisten wie Jörg Haider, der bundesweit agiert, würde er eine große Zahl Stimmen bekommen", sagte Forsa-Chef Manfred Güllner zu stern.de.
Nicht abwarten und Tee trinken
Noch hat sich in Deutschland kein Ex-Politiker mit Gewicht dazu entschieden, eine Tea-Party zu gründen. Und deshalb sahen die Demos für Guttenberg so aus, wie sie aussahen: Irgendwie kopflos.