Proteste gegen S 21 dauern an Zehntausende skandieren: "Mappus weg!"

Mit der Polizeigewalt gegen Suttgart-21-Demonstranten hat die Landesregierung im Südwesten den Bogen überspannt, Zehntausende fordern am Abend den Rücktritt des Ministerpräsidenten.

Wo am Morgen der Schock noch tief saß, schrillen am Abend wieder die Trillerpfeifen. Ohrenbetäubender Lärm liegt über dem Stuttgarter Schlossgarten, wo sich am Freitagabend die bislang größte Demonstration gegen das Milliarden-Bahnprojekt Stuttgart 21 versammelt hat. Die Eskalation der Gewalt hat die Gegner scheinbar noch entschlossener gemacht, sich der Tieferlegung des benachbarten Hauptbahnhofs zu widersetzen.

Es eint sie der Zorn - vor allem auf die Landesregierung und Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) - "Chaotisch, Dilletantisch, Union" hat ein Demonstrant auf sein Plakat geschrieben. Die nach Polizeischätzungen rund 50.000 Menschen - die Parkschützer sprachen sogar von rund 100.000 - geben Mappus und Co. die Schuld an der Eskalation der Gewalt am Vortag. "Das sind nicht nur Gesten der Macht, das sind Gesten der Panik", sagt Gangolf Stocker, einer der Initiatoren des Widerstands gegen Stuttgart 21.

Bericht von einem Todesopfer bleibt unbestätigt

Die Polizei war bei einer genehmigten Demonstration am Donnerstag mit Wasserwerfern, Reizgas und Schlagstöcken gegen Blockaden vorgegangen. Dabei hatten bis zu 400 Demonstranten Augenreizungen erlitten, einige trugen Platzwunden und Nasenbrüche davon.

Manche Demonstranten kolportieren gar, es sei eine 60 Jahre alte Frau an den Folgen des Polizeieinsatzes am Donnerstag gestorben. Und ein Mann habe sein Augenlicht verloren. Beide Informationen bestätigen weder das Deutsche Rote Kreuz noch die Polizei, auf der Kundgebung im Schlosspark am Abend wird behauptet, die Informationen würden zurückgehalten. Die Stimmung ist ohnehin aufgewühlt - nach den Ereignissen der vergangenen 24 Stunden. "Oben bleiben, oben bleiben" - das Motto der Projektgegner brüllen hier alle. Hinter ihnen erinnert allerdings eine Lücke zwischen den hohen Bäumen an eine herbe Niederlage.

Landtagswahl wird zum "Volksentscheid"

Am frühen Freitagmorgen sind die ersten Bäume gefallen und von dröhnenden Maschinen binnen kurzer Zeit geschreddert worden. Hier stehen am Freitagabend noch Polizisten hinter Absperrgittern und bewachen die Baumreste. "Jetzt erst recht", bleibt das Motto am Zaun. Die Gegner wollen weitermachen. Ein Datum haben dabei viele im Kopf: "Am 27.03.2011 ist Volksentscheid", steht in Anspielung auf die Landtagswahl auf einem großen Transparent. Es hängt zwischen zwei Bäumen, die wohl in den nächsten Wochen gefällt werden. Genau weiß das hier niemand.

Im Dauerregen hatten Tausende bis in den Morgen hinein gegen das Abholzen protestiert. Fassungslos sehen die Demonstranten am frühen Freitagmorgen zu, wie gegen ein Uhr die gelben Bagger anrollen und die Sägen an die Bäume legen. Scheinwerfer beleuchten die Bäume, die fallen sollen. "Aufhören", "Verräter", "Schweine": die Stuttgart-21-Gegnern brüllen sich die Seele aus dem Leib. Jedes Mal, wenn wieder ein Bagger in einen Baum reinzubeißen scheint, schwappt eine Welle von Beschimpfungen in Richtung der Arbeiter. Abends zitieren sie aus dem Grundgesetz: "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus." Sie meinen, dass ihre Regierung das ignoriere.

"Barbarische Kulturzerstörung"

Willi Schraffenberger, 61-jähriger Sozialarbeiter aus Stuttgart, spricht von "barbarischer Kulturzerstörung": "Man muss allen erzählen, was hier heute Nacht passiert ist." So denken viele - ein Stück grüner Lunge von Stuttgart werde zerstört. Dass sie ihren Ärger auch in spontane Aktionen ummünzen, zeigen rund 300 bei einer Spontandemonstration. Sie blockieren mit einer spontanen Sitzblockade am Freitagabend Teile der Bahnhofshalle im alten Stuttgarter Hauptbahnhof.

Der viel beschimpfte und aus dem Amt gewünschte Ministerpräsident Mappus rief die S-21-Gegner am Abend zum Dialog auf. Er wolle "ernstnehmen, was die Demonstranten sagen", nötig seien daher Gespräche darüber, wie der Konflikt gelöst werden könne, sagte Mappus am Freitagabend im "heute journal" des ZDF. Mappus bekräftigte zudem seine Unterstützung für die Polizei in Stuttgart, bei deren Einsatz die Demonstrationen am Donnerstag eskaliert waren. "Die Polizei hat reagiert, nicht agiert", sagte der Ministerpräsident. Er habe Vertrauen in die Polizeiführung und diese habe vor Ort über den Einsatz zu entscheiden. Es sei am Donnerstag darum gegangen, eine Baustelle abzusichern und da die Polizisten vor Ort "mit Barrikaden empfangen" worden seien, hätten sie sich gewehrt. "Die ausgestreckte Hand hat bei Kindern und Alten zugeschlagen" stejt dagegen am Abend auf einem Transparent der Demonstranten. Der Weg zum Dialog über Stuttgart 21 scheint derzeit weit.

DPA
dho/DPA/AFP