Angesichts der massiven Vorbehalte gegen ihre Reformprojekte hat die Bundesregierung vor überzogener Kritik gewarnt und zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung aufgerufen. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) äußerte sich am Mittwochabend erneut zuversichtlich, dass die verabschiedeten Pläne in den nächsten Wochen und Monaten Bestand haben werden. Das Kabinett hatte gestern das Vorziehen der Steuerreform auf 2004, die Gemeindefinanzreform, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie den Umbau der Bundesanstalt für Arbeit beschlossen und damit die nach Schröder "größten Veränderungen in der Sozialgeschichte" eingeleitet.
"Staatspolitische Verantwortung"
"Der Appell an die staatspolitische Verantwortung der Ministerpräsidenten und auch der Oppositionsführung wird Wirkung zeitigen", sagte der Kanzler in der ARD mit Blick auf die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Angesichts der klar unionsdominierten Länderkammer sei es Rot-Grün aber sicher nicht möglich, die Reformen wie von ihr selbst gewünscht durchzusetzen, räumte Schröder ein. "Manches wird negativ korrigiert."
Gestern verteidigte Bundeswirtschaftsminister Clement in in der n-tv-Sendung "Maischberger" die verabschiedeten Gesetzesvorhaben.Derzeit werde in der Öffentlichkeit vieles schlecht geredet, mit dem die Nachbarn der Deutschen gute Erfahrungen gemacht hätten.
Eichel fordert Opposition zur Mitarbeit auf
Bundesfinanzminister Eichel lobte ausdrücklich das Reformtempo der Regierung. Er forderte die Opposition nachdrücklich zur Mitarbeit auf. "Es steht allen finanziell das Wasser Oberkante Unterlippe, und da kann man den Mund nicht mehr so groß aufreißen." Im Herbst werde man "so oder so an einem Tisch sitzen - sei es im Vermittlungsausschuss oder sei es bei einer großen Konferenz beim Kanzler, wie es das auch schon gegeben hat in Deutschland."
Gerster und Sager unterstützen Vorhaben
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesanstalt für Arbeit, Florian Gerster, würdigte die Arbeitsmarktreformen als Unterstützung des Reformprozesses seiner Behörde. Die neuen Gesetze verbesserten die Integrationschancen von Arbeitslosen, bauten Bürokratie ab und sicherten der Bundesanstalt mehr Organisationsfreiheit.
Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Krista Sager, verteidigte insgesamt den Reformkurs. Im NDR sagte Sager: "Also was die große Linie angeht, dass wir die großen Reformprojekte anfassen müssen, Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, Verbesserung der Vermittlungstätigkeit, Gemeindefinanzreform, Vorziehen der Steuerreform und auch Subventionsabbau, da stehen wir voll dahinter." Bei der Gemeindefinanzreform gesteht sie möglichen Nachbearbeitungsbedarf zu. Es werde noch starke Änderungen an dem Gesetz geben, kündigte konkret Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt in der "Thüringer Allgemeinen» an. "Das wird längst nicht so den Bundestag verlassen." So sollten bei der Gewerbesteuer Miet- und Zinseinnahmen mit berücksichtigt werden.

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Kritik aus Kiel
Weitere Kritik an den Gemeindefinanzreform kam aus der SPD. Auch die schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis sieht weiteren Nachbesserungsbedarf. Die Länder dürfen nicht die Leidtragenden der geplanten Steuerveränderungen sein. Ab dem Jahr 2005 rechnet Simonis allein in Schleswig-Holstein mit einer Belastung von 200 Millionen Euro. "Wenn der Bund sich nicht auf Änderungen einlässt, wird am Ende ein Vermittlungsausschuss stehen. Denn ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass es im Moment 16 Ja-Stimmen zu diesem Paket im Bundesrat geben wird."
Stolpe fordert Ausnahmeregelungen für strukturschwache Regionen
Der für den Aufbau Ost zuständige Verkehrsminister Manfred Stolpe (SPD) setzt sich weiterhin für Arbeitsmarkt-Sonderregelungen in strukturschwachen Regionen ein. Die beabsichtigten Änderungen am Arbeitsmarktreformen könne dazu führen, dass in Gebieten mit hoher Erwerbslosigkeit die Kosten höher sein könnten als die erwarteten Einsparungen. Auch müsse genau geprüft werden, welche sozialen Auswirkungen der direkte Übergang von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM) in das Arbeitslosengeld II für die Betroffenen habe, stellte Stolpe dem Bericht zufolge fest. Zugleich verwies Stolpe in dem Papier darauf, dass die Ost-Kommunen bei der Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe geringer entlastet würden als die Städte und Gemeinden im Westen.
Harsche Kritik der Opposition
Die Union ließ an den rot-grünen Reformen kaum ein gutes Haar. So hielt Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) der Regierung vor, Deutschland in eine Staatskrise zu treiben. Er sagte dem "Mannheimer Morgen", den Ländern werde bundesfreundliches Verhalten abverlangt, der Bund aber lege kein länderfreundliches Verhalten an den Tag. "Insofern würde ich von einer gewissen Form der Staatskrise sprechen." Die Reformen des Bundeskabinetts seien "unausgegoren".
Althaus (CDU) lehnt runden Tisch ab
Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) bekräftigte im Gespräch mit dem Online-Dienst "tagesschau.de" die Reform-Linie der Union: "Wir werden unsere Vorstellungen im Herbst im Rahmen des Gesetzgebungsverfahren im Bundestag und Bundesrat einbringen." Einen Runden Tisch von Regierung, Opposition und Länder lehnte Althaus ab. "Es ist genug geredet worden. Unsere Vorschläge liegen auf dem Tisch, der Regierung auch, jetzt ist der Bundestag an der Reihe."
Der Bund der Steuerzahler bezeichnete das vom Kabinett beschlossene Vorziehen der dritten Steuerreform-Stufe als "gutes Signal", forderte aber Nachbesserungen. Sonst drohten langfristige Belastungen für Steuerzahler und zukünftige Generationen.
Ende der "parteipolitischen Machtspielchen" gefordert
Die grüne Finanzexpertin Christine Scheel forderte dagegen ein Ende "parteipolitischer Machtspielereien". Der "Sächsischen Zeitung" sagte die Vorsitzende des Haushaltsausschusses des Bundestags, es sei entscheidend, "dass durch die aufeinander abgestimmten Reformschritte das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik wieder hergestellt wird". Das betreffe nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition.