Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hat Überlegungen zu einer neuen Rentenberechnungsformel kritisiert. Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ursula Engelen-Kefer, die ihre Organisation in der Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme vertritt, bestätigte in der "Berliner Zeitung" Berichte vom Wochenende, dass in der Kommission ein Rentenmodell mit einem demographischen Faktor erarbeitet wird. Dieser Faktor berücksichtigt die zunehmende Alterung der Gesellschaft und führt damit zu geringeren jährlichen Rentenerhöhungen. Nach Darstellung der "Berliner Zeitung" wird dieses Modell vom Kanzleramt befürwortet.
"Wir können diese Entwicklung nicht akzeptieren", sagte Engelen- Kefer der Zeitung. Rentnerinnen und Rentner hätten bereits im Zuge der letzten Reform ihren Sparbeitrag geleistet. Die Gewerkschaften könnten auch nicht akzeptieren, dass das gesetzliche Renteneintrittsalter wie von Rürup gewollt ab 2010 generell von 65 auf 67 Jahre erhöht wird. "Die Mehrheit in der Kommission läuft jedoch gegen uns", räumte Engelen-Kefer ein. Ein Minderheitenvotum der Gewerkschaftsseite sei deshalb bereits in Vorbereitung.
Rentensystem soll reformiert werden
SPD-Generalsekretär Olaf Scholz bekräftigte, dass das Rentensystem reformiert werden soll. "Es ist sicher, dass etwas geschehen wird", sagte er der Zeitung. Auf konkrete Inhalte wollte er allerdings nicht eingehen. Die entsprechende Vorlage der Rürup-Kommission zur Reform der Sozialsysteme solle abgewartet werden. Diese wird allerdings erst im Spätsommer erwartet. Die zuständige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) hatte am Wochenende bestritten, dass die Regierung bereits Pläne zur Änderung der Rentenformel hegt. Sie verwies ebenfalls darauf, dass darüber erst nach Vorlage der Rürup-Ergebnisse entschieden werden solle.
Der stellvertretende CDU-Vorsitzende, Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff, sagte der "Rheinischen Post": "Es ist klar, dass eine Rentenformel ohne demographischen Faktor nicht funktionieren kann." Die Folgen längeren Rentenbezuges durch die Verlängerung des Lebensalters müssten zwischen den Generationen ausgeglichen werden, der Faktor Arbeit dürfe aber nicht unbegrenzt belastet werden.
Einen solchen demographischen Faktor hatte die Regierung Kohl bereits eingeführt, das entsprechende Gesetz war nach dem Machtantritt von SPD und Grünen aber ausgesetzt worden.
Lafontaine greift Schröder an
Unterdessen hat der frühere SPD-Chef Oskar Lafontaine hat Bundeskanzler Gerhard Schröder vorgeworfen, die Wähler "für dumm" zu verkaufen. Lafontaine schrieb in der Bild-Zeitung Schröder verlange von seiner Partei und der Bundestagsfraktion, bei Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe, Kündigungsschutz und Krankengeld "Wortbruch" zu begehen. Schröders Agenda 2010 bestehe aus "uralten Ladenhütern der Unternehmerverbände". Dagegen erklärte der SPD-Abgeordnete Rainer Wend laut Bild-Zeitung: "Wenn wir den Linken in der SPD folgen, verabschieden wir uns freiwillig von der Macht."
Lafontaine äußerte Unterstützung für die SPD-Abgeordneten, die über Schröders Reformpläne ein Mitgliederbegehren herbeiführen wollten. "Wer darauf besteht, Wahlversprechen einzuhalten, ist kein Verräter", erklärte er. Demgegenüber sprach Wend, der Mitglied im Fraktionsvorstand der SPD ist, von "Selbstverliebtheit" der SPD-Abweichler: Sie setzten damit die Regierung aufs Spiel, wird er in der Bild-Zeitung zitiert.
Die FDP-Generalsekretärin Cornelia Pieper sagte der Chemnitzer "Freien Presse", die SPD stehe an der Weggabelung in Richtung Moderne oder Abgang. Jetzt werde sich zeigen, ob Schröder oder Minister Wolfgang Clement Schaufenster-Dekorateure oder tatsächlich die Führer der Sozialdemokraten seien. Die SPD stehe faktisch vor der Spaltung. Zu den Profiteuren des Richtungsstreit gehöre die FDP, erklärte Pieper.

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Hoffnung auf Kompromiss
Indes setzen im SPD-internen Streit um die Arbeitsmarkt- und Sozialreformen die führenden Vertreter des linken Flügels weiter auf einen Kompromiss zwischen Bundeskanzler Gerhard Schröder und den Reformgegnern. "Alle wissen, dass der Erfolg der Reformen im Gesetzgebungsverfahren davon abhängt, ob sie beim Parteitag eine zähneknirschende oder überzeugte Mehrheit hinter sich haben", sagte der Sprecher der einflussreichen Abgeordnetengruppe Parlamentarische Linke, Gernot Erler, der "Financial Times Deutschland".
Die Gruppe will Mitte der Woche ein eigenes Papier mit moderaten Änderungsvorschlägen zu Schröders Reformplänen vorlegen und hat einen Entwurf Schröder bereits zum Lesen in seinen Osterurlaub mitgegeben. Der Kanzler wird sich danach voraussichtlich mit der Spitze der Parlamentarischen Linken treffen.
Am kommenden Montag will dann der Parteivorstand die Reform-"Agenda 2010" inhaltlich "so weit wie möglich konkretisieren", wie Generalsekretär Olaf Scholz sagte. Offen sei, ob die vom Vorstand zu beschließenden Eckpunkte dann auch zur konkreten Grundlage des SPD-Sonderparteitags am 1. Juni gemacht werden. Nach den bisherigen Plänen der SPD-Spitze solle der Parteitag "mehr die grundsätzlichen Beweggründe und Ziele erläutern, die mit der Agenda verbunden sind".
Strittig ist besonders Schröders Ziel, die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes von 32 auf maximal 18 Monate zu reduzieren und die Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau zu senken. "Signale, dass wir diese Umstellung flexibler handhaben, oder durch Einzelfallregelungen soziale Härte verhindern könnten, würde vielen Kritikern die Bauchschmerzen nehmen", sagte Erler.
Am Wochenende hatten die Reformgegner ein Einlenken angedeutet, wenn ihnen eine "Brücke" gebaut wird. Das eingeleitete SPD-Mitgliederbegehren über die Reformen würde dann überflüssig, sagte einer der Initiatoren, der Abgeordnete Ottmar Schreiner.
Generalsekretär Scholz forderte die Abtrünnigen aber auf, die Mehrheit der Partei im Bundestag nicht zu gefährden. Zugleich gab er sich überzeugt, dass das Mitgliederbegehren scheitern wird. Ankündigungen von Union und FDP, Schröder in seinem Kurs zu unterstützen, wertete Scholz als "nicht ganz uneigennützig". Beide Parteien würden an ihren Worten gemessen werden, wenn die Reformgesetze zur Abstimmung in den Bundesrat gingen. Im Seeheimer Kreis der eher konservativen SPD-Abgeordneten wurde vereinzelt dafür plädiert, dass sich der Kanzler im Bundestag notfalls eine Mehrheit bei der Opposition suchen soll, falls die Reformgegner in den eigenen Reihen seine Pläne blockieren.