Geht doch. Sigmar Gabriel hat's geschafft. Mal wieder. Irgendwie muss es der Kerl spannend machen. Vor dem kleinen Parteitag der SPD, auch Konvent genannt, hatten nicht wenige erwartet, dass er hinschmeißen würde - wenn die Genossen gegen das geplante EU-Kanada-Freihandelsabkommen Ceta stimmen würden. Doch das haben die Delegierten nicht gewagt, zwei Drittel von ihnen segneten den Kurs des Parteichefs ab. Das ist mehr, als viele Beobachter erwartet hatten. Gabriel kann jetzt als Wirtschaftsminister in Brüssel dem Abkommen zustimmen, ein Abgang bleibt ihm erspart.
Um dieses Ziel zu erreichen, gab es ein Feuerwerk an Aktionismus.
Rund um das Wochenende telefonierte die SPD-Spitze untereinander, Gabriel selbst reiste zuletzt noch nach Kanada, um mit der Regierung zu reden, die kanadische Handelsministerin und die EU-Handelskommissarin versprachen Nachbesserungen, der DGB-Chef unterstützte Gabriel, obwohl der DGB am Wochenende zu den Anti-Ceta-Demonstrationen aufgerufen hatte.
Sigmar Gabriel: Die Linken in der SPD bauen ihm eine Brücke
Und selbst die Linken in der SPD bauten Gabriel eine Brücke. Sie formulierten Klauseln, mit denen sie und Gabriel das Gesicht wahren können. Diese Regeln stoppen nicht Ceta, aber sie berücksichtigen die Bedenken der Kritiker. Die SPD kann den hunderttausenden Demonstranten vom Wochenende sagen: "Danke, wir haben verstanden. Jedenfalls ein bisschen."
Und nun? Droht jetzt der Ausverkauf Deutschlands, wie es die Ceta-Kritiker befürchten? Werden öffentliche Wasserversorger und Krankenhäusern massenhaft privatisiert? Klagen ausländische Konzerne bei internationalen Schiedsgerichten gegen die deutsche Regierung, um hiesige Verbraucherschutzgesetze zu Fall zu bringen?
Das lässt sich derzeit nicht sagen. Wann und in welchem Umfang Ceta tatsächlich in Kraft tritt, ist noch unklar. So wie es aussieht, sollen 38 Parlamente in der EU das Abkommen absegnen, nicht nur nationale Volksvertretungen, sondern auch regionale. Doch nicht nur aus Deutschland weht der Gegenwind, auch aus anderen Ländern. Bis Ceta Realität wird, kann noch viel Zeit vergehen.
Das muss nicht schlecht sein. Der wirtschaftliche Nutzen ist gering, die Wirtschaft wird dank Ceta jährlich um zwölf Milliarden Euro zusätzlich wachsen. Das ist gemessen am Bruttoinlandsprodukt der EU von 14 Billionen Euro, weniger als ein Promille. Viel Schwung sollte man sich von dem Vertrag also nicht erhoffen, anders als die Befürworter behaupten.
Doch bei aller Kritik - Ceta ist besser als sein Ruf. Es ist vor allem besser als das geplante Freihandelsabkommen mit den Vereinigten Staaten, das umstrittene TTIP. Für den Verbraucherschutz gelten höhere Hürden, die umstrittenen Schiedsgerichte wurden leicht demokratisiert, und Arbeitnehmerrechte sind ebenfalls besser abgesichert. Damit sind nicht alle Risiken, die von Ceta ausgehen, verschwunden, aber einige. Mehr wäre nur möglich, wenn das Abkommen völlig gestoppt wird. Ob die SPD dies überhaupt mit einem Nein erreicht hätte, lässt sich bestreiten. Die SPD mag sich groß fühlen. Sie ist aber klein. Sie kämpft darum, ihren Status als Volkspartei zu erhalten, und ob sie diesen Kampf gewinnt, ist offen. Derzeit ist sie eine 20plusX-Partei, in einem von 28 EU-Staaten. Mehr nicht.
Ein Negativ-Votum hätte aber eines gewiss erreicht: Die Partei hätte ihren Vorsitzenden massiv geschädigt. Gabriel hat sehr für das Abkommen geworben, und bei einer Niederlage wäre ein Rücktritt fast zwingend gewesen. Es wäre der zweite Tiefschlag gewesen, nach seinem schlechten Wahlergebnis auf dem vergangenen Parteitag.
Gabriels Rücktritt könnte die SPD nicht gebrauchen
Einen Rücktritt Gabriels kann die SPD aber nicht gebrauchen. So schlecht steht die Partei nicht da. Natürlich ist das Wahlergebnis in Berlin nicht gut und die Ergebnisse bei den vergangenen Landtagswahlen ebenfalls nicht. Doch blickt man auf die Ausgangslage der Sozialdemokraten Anfang des Jahres zurück, haben sie sich besser gehalten als erwartet.
Damals drohte der SPD, dass sie die Macht in Rheinland-Pfalz, Mecklenburg- Vorpommern und in Berlin verlieren könnte. Doch in all diesen Ländern führt sie weiter die Regierung, und sie hat in Berlin eine neue Machtperspektive gewonnen: eine Koalition mit Linken und Grünen. Gleichzeitig hat Angela Merkel ihren Höhenflug beendet und muss in der Union um ihre Stellung kämpfen. Die unangreifbare Kanzlerin ist plötzlich angreifbar.
In diesen Tagen öffnet sich für die SPD ein klitzekleiner Spalt, die Tür auf dem Weg zur Macht schwingt auf. Keine schlechte Position, ein Jahr vor der Bundestagswahl. Das wussten offenbar auch viele Delegierte.