SPD-Chef Gabriel im stern-Interview "Wir enden zu häufig als Technokraten"

Klare Ansagen von SPD-Chef Sigmar Gabriel: Im neuen stern sagt er, warum die Verschiebung der Rente mit 67 richtig ist, was er von Kochs Rücktritt hält - und dass er sich vorstellen kann, den SPD-Kanzlerkandidaten in einer Vorwahl zu ermitteln.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich dafür ausgesprochen, den nächsten Kanzlerkandidaten seiner Partei in einer Art Vorwahl küren zu lassen. "Ich finde die Idee der französischen Sozialisten spannend: Bei der Aufstellung ihres Präsidentschaftskandidaten sollen nicht nur die Parteimitglieder abstimmen können, sondern auch Sympathisanten, Wähler und Wahlhelfer", sagte Gabriel in einem Interview mit dem stern. "Ich kann mir das auch in Deutschland vorstellen, wenn es mehrere Bewerber gibt." Ihm sei aber klar, dass diese Idee in der SPD umstritten ist. "Natürlich wird es um solche Öffnungen auch Diskussionen geben."

Gabriel verteidigte die Entscheidung der SPD, die zu Zeiten der Großen Koalition beschlossene Rente mit 67 auszusetzen zu wollen. "Wir können doch nicht so tun, als seien wir bei der Bundestagswahl auf 23 Prozent abgestürzt, weil die Wähler zu blöd waren. Wir müssen unsere Politik wieder glaubwürdiger und nachvollziehbarer machen", so der SPD-Chef im stern. Gabriel forderte die Arbeitgeber auf, "die ja am lautesten nach der Rente mit 67 rufen", zunächst einmal ausreichend Arbeitsplätze für ältere Arbeitnehmer zu schaffen. "Wer sagt, das ginge nicht, der soll den Menschen die Wahrheit sagen – denn dann ist die Rente mit 67 nur eine Rentenkürzung."

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Gabriel: kein Verständnis für Koch und von Beust

Hart ging Gabriel mit seinem Berufsstand ins Gericht. "Politik hat immer noch große Spielräume - sie nutzt sie nur zu selten", sagte Gabriel in dem Interview. "Sie ist oft zu kleinmütig, sie traut sich zu wenig. Wir sind doch - egal welcher Partei wir angehören - Politiker geworden, weil wir die Welt verändern wollten. Aber häufig enden wir als Technokraten." Man dürfe als Politiker "nur nicht gleich aufgeben, wenn man mal scheitert". Heftig kritisierte der Sozialdemokrat daher den vorzeitigen Rückzug von Roland Koch und Ole von Beust aus ihren Ämtern. Er habe "wenig Verständnis dafür, dass ein Ministerpräsident in schwieriger Zeit sein Amt verlässt, nur weil er gerade etwas Besseres vorhat", so Gabriel. "Sie enttäuschen diejenigen, die sie gewählt haben. Das macht man nicht."

Zugleich warb der SPD-Chef und frühere Umweltminister für mehr Verständnis für Politiker und einen pfleglicheren Umgang miteinander. "Die Politik ist schneller, härter geworden. Als Parteivorsitzender, Minister oder Regierungschef sind Sie zeitlich, körperlich und psychisch einer ungeheuren Anstrengung ausgesetzt. Der Druck der Medien bis hinein ins Privatleben ist verdammt groß geworden", sagte Gabriel dem stern. Man müsse zwar kein Mitleid mit Politikern haben. "Aber es sollte der Satz meiner Großmutter gelten: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu", so der SPD-Politiker weiter. "Es ist in Deutschland nicht verboten, Respekt vor anderen Berufen zu haben."