Wiebke Esdar Diese SPD-Politikerin bringt die Union in Wallung

Wiebke Esdar, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende: "Die Aufregung kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen" (Archivbild)
Wiebke Esdar, stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende: "Die Aufregung kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen" (Archivbild)
© Lorenz Huter / Imago Images
Die SPD-Vizefraktionschefin Wiebke Esdar hat gegen den "Stadtbild"-Satz des Kanzlers demonstriert. Wer ist die Frau, die die Union in Wallung bringt? Ein Anruf. 

Wiebke Esdar hat ein aufwühlendes Wochenende hinter sich, der Furor schlägt sich auch in ihrem E-Mail-Postfach nieder. Am Freitag ist die SPD-Vizefraktionsvorsitzende auf einer Demonstration gegen die "Stadtbild"-Äußerungen des Kanzlers mitgelaufen. Auf die Schlagzeilen folgten auch Anfeindungen. "Ich frage mich, wann dich der erste mit einem Knüppel aus dem Bundestag prügelt", heißt es in einer anonymen Zuschrift.  

Am Telefon klingt Wiebke Esdar nicht so, als würde sie das aus der Ruhe bringen. Einige jener Nachrichten wolle sie nun prüfen lassen. Nach der Devise: gehört halt zum Job. Auch den lauten Protest aus der Union sieht Esdar gelassen. "Die Aufregung kann ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen", sagt sie trocken. "Ich finde, Politikerinnen und Politiker sollten sich in ihrem Wahlkreis nicht plötzlich anders positionieren, weil sie in Berlin nun in führender Funktion sind." Also alles halb so wild?

Unter dem Motto "Wir sind das Stadtbild" hatte Esdar am Freitag gegen die umstrittenen Äußerungen des Kanzlers demonstriert. Zwar als eine von vielen, aber zeitweilig auch an der Spitze des Demonstrationszuges. Das musste den Koalitionspartner von der Union in der Sache verärgern, aber auch in der Form. Esdar gehört zur Führungsmannschaft der SPD, ist stellvertretende Fraktionsvorsitzende im Bundestag – und läuft bei einer Demo mit, die sich gegen Aussagen des eigenen Regierungschefs richtet? 

Die Union ist jedenfalls schwer angesäuert. Die SPD versucht sich in Schadensbegrenzung. Und wieder entsteht das Bild einer Koalition, die mehr voneinander trennt, als sie eint. Wer also ist die Frau, die CDU und CSU in Wallung versetzt – und gern auch mal die eigenen Leute?

Wiebke Esdar: "Dabei bleibe ich"

Wiebke Esdar ist eine selbstbewusste und sendungsbewusste Bundestagsabgeordnete, gilt als fleißig und akribisch, und geht kaum einer Diskussion aus dem Weg. Das zeigt sich nicht nur in der schwelenden "Stadtbild"-Debatte.

Mit ihrem Demo-Auftritt hat sich Esdar allerdings in eine Situation begeben, die potenziell nach hinten losgehen konnte – und so kam es auch. Zumindest gemessen an dem Eindruck, der in der Öffentlichkeit entstanden ist: "SPD-Fraktionsvize demonstriert in erster Reihe gegen Merz", schlagzeilte die "Bild"-Zeitung. "Klare Kante gegen den Kanzler – und das aus der eigenen Regierung!"

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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So ganz von der Hand zu weisen ist das nicht, auch Esdar selbst tut es nicht. "Ich bin direkt gewählte Abgeordnete in Bielefeld", betont sie am Telefon. Schon lange zuvor habe sie das "Bündnis gegen rechts" mitgegründet, das am Freitag zum Protest aufgerufen hatte, und viele Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche und gegen Rassismus organisiert. "Unsere zentrale Botschaft ist seit jeher: Bielefeld ist eine bunte und weltoffene Stadt." 

So will Esdar auch ihre jüngste Demo-Teilnahme verstanden wissen. "Nun hat es eine pauschalisierende Äußerung des Bundeskanzlers gegeben, und ich habe mich mit denjenigen in meinem Wahlkreis solidarisiert, die seine 'Stadtbild'-Äußerungen als verletzend empfunden haben. Das war richtig – und dabei bleibe ich." 

Die SPD-Politikerin schont auch die eigene Partei nicht

Nun sind Koalitionsabgeordnete, auch in führender Funktion, mitnichten dazu angehalten, alles toll zu finden, was der Regierungschef sagt. Dass ein Demo-Auftritt gegen den eigenen Kanzler die ohnehin schwierigen Schwingungen in der schwarz-roten Koalition zusätzlich strapaziert – auch klar. Zumal sich mit Vizekanzler Lars Klingbeil und Umweltminister Carsten Schneider schon zwei SPD-Mitglieder aus Merz‘ eigenem Kabinett klar zur "Stadtbild"-Kontroverse positioniert hatten: So nicht, Kanzler. 

Zugutehalten ließe sich, dass Wiebke Esdar auch mit ihrer eigenen Partei nicht zimperlich umgeht, wenn es aus ihrer Sicht sein muss. 

Esdar machte einst als engagierte GroKo-Kritikerin von sich reden und trommelte für die – schließlich erfolgreiche – Kandidatur der Parteilinken Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans für den SPD-Vorsitz. Zum Ärger des Partei-Establishments. Mittlerweile gehört die streitbare Genossin, die auch im Parteivorstand sitzt, gewissermaßen selbst dazu. Esdar ist eine von drei Sprecherinnen der Parlamentarischen Linken, dem linken Flügel der SPD-Fraktion, und Co-Vorsitzende der einflussreichen NRW-Landesgruppe im Bundestag. In letzterer Funktion demonstrierte sie, wenn man so will, schon einmal gegen den eigenen Kanzler – nur hieß dieser im November 2024 noch Olaf Scholz und wurde von der SPD gestellt. 

In einem gemeinsamen Statement mit Dirk Wiese, heute SPD-Fraktionsmanager und seinerzeit Esdars Co-Vorsitzender in der NRW-Landesgruppe, ging sie auf Distanz zu einer erneuten Kanzlerkandidatur Scholz' – und lobte Boris Pistorius, schon damals Verteidigungs- und Beliebtheitsminister. Es schwächte Scholz' Position, wurde auch als unsolidarisch kritisiert. Gleichwohl traf der Vorstoß das Gefühl vieler Genossinnen und Genossen, mit dem unbeliebten Kanzler als Kandidaten nicht gewinnen zu können – also wieso nicht Klartext reden?

Nach ihrem umstrittenen Demo-Auftritt sieht sich Esdar nun mit der Frage konfrontiert, wie sie zur schwarz-roten Koalition steht. "Wer als Teil der SPD-Fraktionsführung an vorderster Front gegen den Bundeskanzler demonstriert, muss sich schon fragen lassen, ob er den Erfolg dieser Koalition noch will", mopperte Steffen Bilger, der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, in der "Süddeutschen Zeitung". Also Frage an Wiebke Esdar: Will sie diesen noch? 

"Selbstverständlich will ich den Erfolg der Koalition", sagt sie, deswegen werde sie auch weiterhin "konstruktiv" mit der gesamten Regierung zusammenarbeiten. Und schiebt subtil hinterher, dass sie sich freue "auf die konkreten Lösungen, die wir in den anstehenden Haushaltsverhandlungen mit der Union finden werden". Als SPD-Vizefraktionsvorsitzende ist sie unter anderem für die Bereiche Haushalt und Finanzen zuständig, hat sich schon in der letzten Legislaturperiode einen Ruf als fachkundige Haushaltspolitikerin erarbeitet, die tief im Stoff steht. Es klingt daher auch wie eine Kampfansage.

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