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Juso-Kampagne Unruhe nach Mitgliederzuwachs – das gibt's wohl nur bei der SPD

Juso-Chef Kevin Kühnert, SPD-Parteibücher
Juso-Chef Kevin Kühnert will möglichst viele neue SPD-Mitglieder gewinnen – doch zu welchem Zweck?
© Michael Kappeler / DPA
Nach ihrem Parteitag in Bonn verzeichnet die SPD einen enormen Mitgliederzuwachs. Was die Partei eigentlich freuen sollte, ruft bei einigen Genossen jedoch mächtig Unruhe hervor. Grund ist eine Kampagne der Jusos.

Rund 1500 neue Mitgliedsanträge zählt die SPD seit ihrem Sonderparteitag in Bonn am vergangenen Sonntag. Das ergab eine Umfrage der Nachrichtenagentur AFP unter den Landesverbänden der Partei, allein in Nordrhein-Westfalen gibt es demnach über 500 Eintrittswünsche. Eine "extreme Mitgliederwelle", "mehr als üblich", "das ist schon viel", sagten Sprecher in den einzelnen Bundesländern – und so manch ein SPD-Politiker vermutet, dass die hohe Anzahl der Anträge nicht mit einer plötzlich entfachten Liebe zu den Sozialdemokraten zusammenhängt, sondern mit einer Kampagne der SPD-Jugendorganisation, den Jusos.

Nachdem deren Vorsitzender Kevin Kühnert offensiv und lautstark gegen Koalitionsverhandlungen mit der Union gewettert hatte, sind die Jusos gewissermaßen die Heimat für alle GroKo-Gegner in der Partei.

Juso-Aufruf sorgt für Unruhe

Vor dem Hintergrund des nach den Koalitionsverhandlungen anstehenden Mitgliederentscheids in der SPD über eine Neuauflage des schwarz-roten Bündnisses werben die Jusos unter dem Motto "Tritt ein, sag' Nein" um neue Mitglieder. Sie sollen den Koalitionsvertrag ablehnen: "Wir brauchen Dich! Tritt jetzt ein und hilf uns dabei, die SPD für die Zukunft fit zu machen", heißt es unter anderem auf der Jusos-Facebookseite mit dem Hinweis, dass "#NoGroKO der erste Schritt" auf diesem Weg sei. "Mitglied werden geht super easy", heißt es zu dem Link auf das Online-Antragsformular.

Ein paar persönliche Angaben, Mitgliedsbeitrag (ab 5,00 Euro monatlich) auswählen, Kontodaten eingeben, fertig. Wirklich "super easy", das Ganze. Aber auch super umstritten.

Über alle Parteiflügel hinweg wird Kritik an der Juso-Kampagne laut. So sagte Matthias Miersch, der Sprecher der Parlamentarischen Linken der SPD-Bundestagsfraktion im "Morgenmagazin" der ARD: "Probleme habe ich, wenn suggeriert wird: Tretet ein, und dann könnt ihr auch abstimmen, und dann könnt ihr wieder austreten."

SPD-Politiker kritisieren Kampagne

Auch Johannes Kahrs, Sprecher des als konservativ geltenden Seeheimer Kreises in der SPD, sieht das Vorhaben der Jusos kritisch. Er erklärte bei Twitter, sollte die Mitgliederwerbung ausschließlich das Ziel haben, die Zahl der Nein-Stimmen beim Mitgliederentscheid zu erhöhen, sei dies "unanständig".

Weitere Spitzengenossen wie Karl Lauterbach ("Trickserei") oder Vizechefin Malu Dreyer ("Irrglaube, dass Demokratie dadurch gewinnt") schlossen sich der Kritik an der Jugendorganisation an.

Der kritisierte Juso-Chef Kevin Kühnert hat indes klargestellt, dass es ihm bei der Mitgliederwerbung nicht bloß um kurzzeitige Stimmenlieferanten für den Mitgliederentscheid geht. "Wir wollen Neumitglieder werben, die aus Überzeugung in die SPD eintreten, weil sie unsere Grundwerte teilen", sagte er der "Rheinischen Post". "Wenn diese Mitglieder anschließend unserer Argumentation folgen, die Große Koalition abzulehnen, ist daran nichts anrüchig." Die Jusos würden um langfristiges Engagement werben, "weil die Erneuerung der SPD Zeit brauchen wird und mit der Ablehnung der Großen Koalition keineswegs erledigt wäre".

Dennoch hat der Aufruf der Jusos weiter Aufregung in die Partei gebracht. Weil Menschen eintreten wollen, herrscht Unruhe – das gibt es so wohl nur in der SPD. Es zeigt einmal mehr, dass das Selbstbewusstsein der Partei angeknackst ist. Schließlich hatte es schon einmal, nach der Wahl Martin Schulz' zum Parteivorsitzenden im vergangenen Jahr, einen Boom an neuen Mitgliedern in der Partei gegeben – tagesaktuelle Ereignisse sorgen immer wieder für einen Zustrom an neuen Genossen, erklärte etwa ein Sprecher der Hamburger SPD. Möglicherweise hat auch der mit viel Leidenschaft abgehaltene Parteitag am Sonntag einigen Menschen schlicht Lust auf politisches Engagement in der SPD gemacht, unabhängig davon, ob sie für oder gegen eine GroKo sind. Doch: In diesen Zeiten ist das Glas bei den Sozialdemokraten häufiger halb leer als halb voll.

Bei all der Aufregung um die 1500 potenziellen SPD-Neumitglieder, Unsicherheiten bleiben: So muss sich erst noch herausstellen, wie viele der größtenteils online gestellten Mitgliedsanträge tatsächlich zu einem neuen SPD-Parteibuch führen. Das letzte Wort bei der Aufnahme von Neumitgliedern haben die Ortsverbände.

Und bei der möglichen Mitgliederbefragung nach den Koalitionsverhandlungen haben ja auch noch die fast 450.000 bestehenden Mitglieder eine Stimme; die gilt es in erster Linie zu überzeugen. Ein Sprecher der thüringischen SPD sagte, der Parteivorstand in Berlin müsse noch Zeitplan und Richtlinien für den Mitgliederentscheid festlegen. Ob die Neulinge dann tatsächlich abstimmen dürfen, steht noch nicht abschließend fest. Gut möglich also, dass sich am Ende alle Flügel der Partei freuen können – über neue Mitstreiter für das Projekt #SPDerneuern.

mit DPA- und AFP-Material

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