SPD-Parteitag Genossen stehen hinter Kurt

95,5 Prozent - ein Traumergebnis für Kurt Beck auf dem SPD-Parteitag in Hamburg. Die Partei hat sich geschlossen hinter ihn gestellt. Und das obwohl er sich und das Publikum durch eine seltsame, längliche Rede quälte.

Der SPD-Bundesparteitag in Hamburg hat Kurt Beck mit großer Mehrheit als Vorsitzenden wiedergewählt. Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident erhielt 483 von 506 gültigen Stimmen. Es gab 6 Enthaltungen, 17 votierten gegen ihn. Das entspricht einer Zustimmung von 95,5 Prozent. Ein Zeichen der Geschlossenheit und ein persönlicher Erfolg für Kurt Beck. Und das obwohl er erst auf der Zielgeraden seiner Rede, in den letzten 20 Minuten, zu akzeptabler Form auflief.

Die Ergebnisse der Stellvertreter

Frank Walter Steinmeier: 85,5 Prozent
Peer Steinbrück: 75,4 Prozent
Andrea Nahles: 74,8 Prozent

Er munterte die SPD-Spitzenkandidaten auf, die in Hamburg, Hessen und Bayern Landtagswahlen vor sich haben. Und er drosch auf die CSU ein, die so viele Affären zu verbuchen habe, dass man von "Latex und Lederhose" sprechen müsse. Für sein Schlusswort hatte er sich einen Slogan aufgespart, der die Identität der SPD beschreiben und zugleich die Linkspartei verbal in Schach halten soll. "Wir sind die Benchmark für Gerechtigkeit", rief der SPD-Vorsitzende im besten PR-Denglisch in die riesige Hamburger Kongresshalle. Die Delegierten reagierten mit standing ovations, etwa vier Minuten. Ein Triumph sieht anders aus.

Beck soll der Star sein

Becks Mitarbeiter scheinen es geahnt zu haben. Sie streuten auf dem SPD-Fest am Freitagabend die Information, dass Beck krank sei. Ein Schnupfen, den er nicht mit Medikamenten behandeln würde, sondern nur mit einem homöopathischen Heilmittel. Damit lieferten sie prophylaktisch eine Erklärung, falls Beck schwächeln sollte. Auch die Parteitagsregie griff ein. Sie platzierte die Rede von Ex-Kanzler Gerhard Schröder, die eigentlich für den Samstag geplant war, auf den Freitagvormittag. Das sollte Beck die Möglichkeit geben, auf Schröder zu reagieren und das letzte Wort zu behalten. Beck sollte der Star sein, nicht der geborene Entertainer Schröder.

Doch es half alles nichts. Beck verstolperte die erste Stunde seiner Rede völlig. Er nahm nicht die Provokation Schröders auf, die SPD müsse das Bessere und nicht das Populäre tun, ein klarer Seitenhieb auf die von Beck favorisierte Verlängerung des Arbeitslosengeld I. Stattdessen tauchte Beck in die Geschichte der SPD-Programmatik ein und schwamm vor aller Augen beinahe hilflos durch Themen und nichtssagende Floskeln. "Die Bundesrepublik hat einen sehr guten Weg genommen. Daran hat die Sozialdemokratie einen entscheidenden Anteil." Sätzen wie diesen folgten beliebig klingenden Bekenntnissen zu Solidarität, Gerechtigkeit, Ökologie und friedensstiftender Außenpolitik. Oft verlor Beck den Faden und wirkte einfach nur wirr. Ein Manuskript hatte er nicht, er wollte frei reden, was ihn völlig zu überfordern schien.

Sie wollten ihn feiern

Den Delegierten fiel es schwer, Beck zu feiern - obwohl sie das mit aller Macht wollten. Gelang ihm endlich mal eine Passage, brandete sofort Applaus auf. Zum Beispiel als Beck ankündigte, Finanzminister Peer Steinbrück werde künftig eine Arbeitsgruppe leiten, die sich mit der Bändigung der internationalen Finanzmärkte beschäftigen soll. Oder als er davon sprach, dass die Bildungs- und Aufstiegschancen von Kindern aus armen Familien verbessert werden müssten. Aber zu solchen Aussagen hätten vermutlich auch "linke" Unionsabgeordnete applaudiert.

Der mit Spannung erwarteten Redeteil - Becks Auseinandersetzung mit der Agenda, dem Schröderschen Erbe und seinem Antagonisten Franz Müntefering- fiel weitgehend aus. Beck bekannte sich dazu, das Rentenalter aufgrund der demografischen Entwicklung anzuheben. Damit bekräftigte er die von Müntefering durchgeboxte Rente mit 67 (und bekam dafür keinen Applaus). Aber er schwächte diese Position sogleich wieder ab, indem er für Sonderregelungen plädierte. Dieses Ja-Aber war auch in den programmatischen Aussagen zu hören. So sagte Beck, es sei "hanebüchener Unsinn", die Partei stehe vor einem Linksrutsch. Andererseits warb er explizit um die "solidarische Mehrheit" in Deutschland, also um Menschen, denen das Helfen und Kümmern näher steht als Schröders "neuer Mitte". Die Delegierten konnten sich aus diesem Wort-Baukasten nun das heraussuchen, was ihnen politisch am besten in den Kram passt.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Nach der Rede versuchten die Spin-Doktoren der SPD den verpatzten Auftritt sogleich umzudeuten. Das sei eine Rede, die nach "innen" gerichtet gewesen sei, also an die SPD-Mitglieder. Aber auch "innen" dürfte nach dieser Rede eine Erkenntnis gewachsen sein: Kurt Beck ist Parteivorsitzender - aber nur deshalb, weil die SPD keinen anderen hat.

mit DPA