Es ist bei Parteitagen ein bisschen wie mit den Olympischen Spielen: Das aktuelle Ereignis ist immer das größte und beste ever, ever, ever - aus Sicht der Veranstalter. Hier also der SPD-Parteitag im "Citycube", einem Gebäude der Berliner Messe, in Zahlen: 600 Delegierte werden kommen, 1000 Journalisten, fast 900 Anträge wurden gestellt. Hinter dem Rednerpult wird eine 60 Quadratmeter große, hoch auflösende Videoleinwand installiert, und für Abstimmungen werden die Genossen - willkommen in der Gegenwart - elektronische Tablets verwenden. "Modernität und Zukunftsoptimismus", werde der Parteitag ausstrahlen, sagte die scheidende SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Sowie eine besondere "Ernsthaftigkeit", weil, klar: Die Zeiten sind ernst.
Die Besucher werden das persönlich erleben: Neben dem Citycube liegt eines der provisorischen Flüchtlingsheime. Rund 1000 Menschen leben dort, in den Räumen stehen Stockbetten, die Zukunft der Schutzsuchenden ist ungewiss. Fahimi sagte, die Parteitagsregie habe der besonderen Lage durchaus Rechnung getragen. Die Genossen könnten während der Veranstaltung "Zeit spenden" und sich stundenweise ehrenamtlich engagieren. Das Grußwort des Parteitags wird Michael Müller, SPD, halten, der Regierende Bürgermeister Berlins. Eigentlich müsste er auch ein paar Sätze zu dem unsäglichen Verwaltungschaos sagen, unter dem die Flüchtlinge in der Hauptstadt leiden. Über die Zustände am berüchtigten LaGeSo hat selbst die New York Times berichtet.
Gabriel und die leidige K-Frage
Malu Dreyer, Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, hat eine Landtagswahl im März 2016 vor sich, deshalb gehört die große Bühne zunächst ihr: Sie wird zum Auftakt den Leitantrag "Für eine verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik" präsentieren. Scharfe Debatten sind indes nicht zu erwarten, die SPD tickt in der Flüchtlingsfrage viel gleichmäßiger als die Union. Unter Druck wird Kanzlerin Angela Merkel auf dem Parteitag der CDU in Karlsruhe Anfang kommender Woche geraten - nicht SPD-Chef Sigmar Gabriel in Berlin.
Die leidige K-Frage wird auf dem Parteitag der Sozialdemokraten offiziell keine Rolle spielen - auf den Gängen und Fluren hingegen schon. Sigmar Gabriel muss sich der Wiederwahl als Parteivorsitzender stellen, vor zwei Jahren erzielte er in Leipzig 83,6 Prozent. Diesmal müsst er einen höheren Wert erzielen, insofern die Sozialdemokraten ein Signal der Geschlossenheit mit Blick auf die kommenden Bundestagswahlen aussenden wollen. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist zwar weit beliebter als Gabriel, aber die Kanzlerkandidatur läuft mangels Alternativen auf Gabriel zu. Vermutlich wird er antreten, weil er antreten muss.
Doppelspitze und TTIP
Die Idee, eine Doppelspitze für die Parteiführung aufzustellen - für die sich Gabriel schon vor Monaten überraschend ausgesprochen hatte - ist für die aktuelle Wahl ohne Belang. Die Antragskommission hat einen Vorstoß, die Satzung entsprechend zu ändern, abgelehnt. Generalsekretärin Fahimi kritisierte die Idee der Doppelspitze bei der Vorstellung des Parteitagsprogramms deutlich: Die Doppelspitzen anderer Parteien zeigten, dass dies kein "kooperatives Modell" sei. Es würde lediglich benutzt, um unterschiedliche Strömungen abzubilden. Es bestünde die Gefahr, dass die Partei "mit zwei Zungen" spräche. Sie plädierte dafür, auf unteren Parteiebenen zunächst andere Modelle auszuprobieren: beispielsweise ein Stabwechsel von Mann zu Frau oder umkehrt zur Halbzeit der jeweiligen Wahlperiode.
Größere Differenzen dürften allein beim Thema TTIP auftreten. Die Delegierten befürchten, dass Gabriel, der die Partei stärker auf einen wirtschaftsnahen Kurs trimmen will, ältere, restriktive Beschlüsse der SPD mit dehnbaren Formulierungen aufweichen wird. Fahimi dementierte das entschieden - und die Wahl des zentralen TTIP-Redners spricht für ihr Dementi. Der Parteilinke Ralf Stegner wird am Samstag den Antrag zu dem umstrittenen Handelsabkommen einbringen. Allerdings nur rund zwei Stunden vor dem offiziellen Ende des Parteitags. Das deutet auch darauf hin, dass eine ausführliche Debatte nicht erwünscht ist.
Auftritt Gerhard Schröder
Einen besonderes Bonbon für die streitbaren Genossen hält der Parteitag gleich zu Beginn bereit: Altkanzler Gerhard Schröder wird sprechen, sein letzter Auftritt auf einem SPD-Parteitag war 2007. Offiziell wird er einen Rückblick auf Egon Bahr, Günter Grass und Helmut Schmidt liefern. Aber Schröder wäre nicht Schröder, wenn er sich jeden Kommentar zur aktuellen Lage verkneifen würde. Vielleicht hilft allein die Erinnerung daran, dass die SPD mal einen Kanzler stellte, den Genossen schon weiter. In den Umfragen liegen sie wie fest betoniert bei 25 Prozent, egal wie viel sie in der Großen Koalition durchsetzen. Nicht eben die beste Lage, um den nötigen Kampfgeist für die zweite Hälfte der Legislatur zu entwickeln.