Südschleswigscher Wählerverband Angriffe und Gegenangriffe

SPD und Grüne haben die Union wegen ihrer Kritik an der Rolle der Minderheitenpartei SSW bei der Regierungsbildung in Kiel heftig attackiert. Kanzler Schröder wirft der Opposition Erpressung und schlechten Stil vor.

SPD und Grüne haben die Angriffe von Unionspolitikern auf den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) scharf verurteilt. Bundeskanzler Gerhard Schröder sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", dass die CDU den SSW jetzt mit dem Hinweis zu erpressen versuche, er habe die Fünf-Prozent-Hürde nicht übersprungen, sei "ein reichlich merkwürdiger Stil". Der Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Volker Beck, sprach von "unanständigen" Angriffen der Union auf die dänische Minderheit in Deutschland und den SSW. "Man sieht, dass die Saat der geistigen Ausbürgerung des SSW Früchte trägt", sagte der Grünen-Politiker.

Beck erklärte am Sonntag in Berlin, alle Parteien in Schleswig-Holstein müssten den Wählerwillen respektieren, der sich in der Zusammensetzung des Parlaments ausdrücke. Von den drei rechnerischen Möglichkeiten für eine Regierungsmehrheit mache eine rot-grüne Zusammenarbeit mit dem SSW den meisten Sinn, weil es in der Bildungspolitik große inhaltliche Schnittmangen gebe, sagte der erste Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion.

Pressestimme

Die konservative dänische Tageszeitung "Berlingske Tidende" (Kopenhagen) meinte am Donnerstag zur Schlüsselrolle des SSW bei der Regierungsbildung in Schleswig-Holstein: "Nach dänischen Maßstäben müsste man von einer Traumposition für den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) sprechen. (...) Kritiker meinen, dass eine Partei, die ihre Mandate durch Sonderbestimmungen als nationale Minderheit bekommt, sich nicht für eine Seite entscheiden sollte, weil sie bürgerliche wie sozialdemokratische Stimmen bekommt. Das stimmt. Aber der SSW ist mehr als nur eine Minderheitspartei. Er repräsentiert auch eine politische Richtung, die skandinavische Wohlfahrtspolitik durchsetzen will. (...)

Der SSW zieht somit auch deutsche Sympathiestimmen an. Wer vor allem eine sozialdemokratische oder bürgerliche Regierung wünscht, braucht dann eben sein Kreuz nicht beim SSW zu machen. Die Partei der dänischen Minderheit hat das Recht und die Pflicht, die parlamentarische Entwicklung in die Richtung zu bewegen, für die sie zur Wahl angetreten ist. Diese Bedingungen gelten für alle Parteien, die nach den Regeln der Verfassung im Kieler Landtag vertreten sind."

Aufruf zu "Neutralität"

Der hessische Ministerpräsident Roland Koch hatte in der "Bild am Sonntag" unter anderem die Ausnahme des SSW von der Fünf-Prozent-Hürde in Frage gestellt und die Dänen-Partei aufgefordert, sich bei der Ministerpräsidentenwahl im Kieler Landtag "neutral" zu verhalten, um eine CDU-geführte Regierung zu ermöglichen. "Dass es den Südschleswigschen Wählerverband gibt, ist Zeichen des Respekts vor einer nationalen Minderheit. Ich kann die SSW-Spitzenkandidatin Anke Spoorendonk nur davor warnen, diese Sonderstellung zu missbrauchen und sich zum Schiedsrichter der Politik in Schleswig-Holstein aufzuschwingen." Dem SSW stehe es nicht zu, "Wahlverlierer zu Wahlgewinnern" zu machen, sagte Koch der Zeitung.

Auch CDU-Chefin Angela Merkel kritisierte, dass der SSW in einer Minderheitsregierung zu viel Macht haben würde. Im Deutschlandfunk nannte sie die Schulpolitik dafür als Beispiel. Sie sprach sich für eine große Koalition in dem nördlichsten Bundesland aus. Der Wählerwille sei eindeutig gewesen, und deshalb solle nach stabilen Verhältnissen gesucht werden, sagte Merkel. Die CDU-Vorsitzende forderte Simonis auf, die Sachlage zur Kenntnis zu nehmen. "Das Land braucht eine stabile Regierung". Zugleich verwies sie darauf, dass der SSW laut der Geschäftsordnung des Landtages keine Stimme in den Ausschüssen habe. Eine Minderheitsregierung aus SPD und Grünen hätte dort nie eine Mehrheit, sagte Merkel.

"Keine Mandate zweiter Klasse"

Die CDU Schleswig-Holstein äußerte sich zurückhaltender. "Wir haben immer deutlich gemacht, dass die Mandate des SSW keine Mandate zweiter Klasse, sondern vollwertige Mandate sind", sagte ein Parteisprecher. "Der SSW muss sich aber seiner besonderen Situation bewusst sein."

SSW-Spitzenkandidatin Anke Spoorendonk wies die Darstellung zurück, dass ihre Partei zur Neutralität verpflichtet sei. Den "Lübecker Nachrichten" sagte Spoorendonk, sonst würde die gesamte politische Arbeit der Partei fünf Jahre lang auf Eis gelegt. Die Wähler könnten dann zu Recht fragen, warum sie den SSW eigentlich gewählt hätten. "Wir sind keine politischen Eunuchen", sagte sie. In den Gesprächen über die Stützung einer rot-grünen Landesregierung will Spoorendonk auf "neue Akzente in der Arbeitsmarktpolitik" und eine Kommunalreform drängen. Der SSW hatte am Freitagabend beschlossen, offizielle Gespräche mit SPD und Grünen aufzunehmen. CDU-Landeschef Peter Harry Carstensen kündigte daraufhin den Abbruch der Sondierungsgespräche mit der Dänen-Partei an. Der SSW hatte zuvor erklärt, die CDU habe nicht genügend Bereitschaft gezeigt, den SSW als gleichwertigen Partner zu akzeptieren und auf dessen politische Forderungen einzugehen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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SSW-Sitze Zünglein an der Waage

Die CDU war bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein zwar mit 30 Sitzen stärkste Partei geworden, hat aber zusammen mit der FDP (4) nicht die Sitz-Mehrheit. Die SPD hatte 29 Sitze erhalten, die Grünen vier. Daher könnten die beiden SSW-Sitze entscheidend sein. Denkbar ist auch eine große Koalition von CDU und SPD.

AP · DPA · Reuters
AP/DPA/Reuters