Menschen mit Behinderung und alte Menschen sollen bei knappen Behandlungskapazitäten auf Intensivstationen im Falle von Pandemien nicht benachteiligt werden. Der Bundestag hat dazu am Donnerstag ein Gesetz der Ampel-Koalition zur sogenannten Triage beschlossen. Der Begriff bedeutet, dass Ärzte etwa bei zu wenigen Betten oder Beatmungsgeräten eine Reihenfolge festlegen, wer zuerst behandelt wird. Entschieden werden soll dem Gesetz zufolge in einem solchen Fall maßgeblich nach der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" eines Patienten. Andere Kriterien wie das Alter oder eine Behinderung sollen keine Rolle spielen dürfen.
Es sei mit mehr Pandemien und Infektionskrankheiten zu rechnen, sagte Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am Donnerstag. Daher müsse man besser vorbereitet sein. "Aber prinzipiell muss klar sein, dass Menschen mit Behinderungen oder ältere Menschen auch in Zeiten knapper Kapazitäten nicht benachteiligt werden." Politiker mehrerer Parteien äußerten im Bundestag die Hoffnung, dass dieses Gesetz nie zur Anwendung kommen müsse.
Kritik an Triage-Gesetz
Die Union bemängelte, dass die Regelung nur für Pandemien und nicht für Naturkatastrophen, Krieg oder Terroranschläge gelten soll. Die AfD sprach von einer Übergriffigkeit des Staates. Das Gesetz sei Ausdruck eines tiefen Misstrauens gegenüber Ärzten, denen mit bürokratischen Regeln die Möglichkeit genommen werden solle, zum Wohl der Patienten zu entscheiden.
Auf Leben und Tod

Auch von Teilen der Ärzteschaft gibt es Kritik an der Entscheidung des Bundestages. Schon im Juni hatte die "Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften" (AWMF) in einer Stellungnahme im Wesentlichen vier Punkte des Gesetzentwurfs kritisiert und eigene Formulierungsvorschläge für die entsprechenden Stellen eingebracht. Nun kritisiert die "Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin" (Divi), dass die "vier sehr deutlich gemachten Kritikpunkte am Gesetzentwurf mit entsprechenden Formulierungsvorschlägen" nicht berücksichtigt wurden.
Ärzte kritisieren "First-come-first-serve"-Vergabe
Das Gesetz sieht nun vor, dass wer schon in einem Krankenhausbett liegt, mit Sicherheit behandelt wird. Selbst wenn jemand mit höheren Überlebenschancen ein Bett auf einer Intensivstation benötigt, hat dieser Patient das Nachsehen. "Diese 'First-come-first-serve'-Vergabe von Intensivmedizinressourcen lehnen wir strikt ab, ebenso wie die Möglichkeit eines simplen Losverfahrens", sagte Prof. Uwe Janssens laut der Divi-Pressemitteilung. Er ist sicher: "Das jetzt gesetzlich formulierte Verbot einer Ex-Post-Priorisierung wird unweigerlich zu mehr vermeidbaren Todesfällen führen."

Das Thema Triage war in der Pandemie wegen voller Intensivstationen in den Fokus gerückt. Umgesetzt werden soll nun mit der Regelung ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2021. Das Gericht hatte entschieden, dass der Staat die Pflicht hat, Menschen vor einer Benachteiligung wegen ihrer Behinderung zu schützen. Dem Gesetzgeber wurde aufgetragen, Vorkehrungen dafür zu treffen. Bisher gibt es dazu keinen Gesetzesrahmen, sondern wissenschaftlich erarbeitete Empfehlungen für Ärzte. Die nun beschlossene Ergänzung des Infektionsschutzgesetzes muss noch durch den Bundesrat. Es ist aber nicht zustimmungspflichtig.
Weitere Quellen:Gesetzentwurf zur Triage, Beschlussempfehlung zur Triage, Stellungnahme der AWMF, Pressemitteilung der DIVI.