Ukraine-Krieg Die Anfeindung russischer Menschen spielt nur einem in die Hände: Wladimir Putin

Russen gegen den Krieg – Protest gegen den Ukraine-Krieg am Rosenmontag in Düsseldorf
"Russen gegen den Krieg": Russischer Protest gegen den Überfall auf die Ukraine während einer Friedensdemonstration am Rosenmontag in Düsseldorf.
© Malte Krudewig / DPA
Es ist fast unmöglich, angesichts der schlimmen Bilder aus der Ukraine besonnen zu bleiben. Dennoch: Wir müssen versuchen, nicht "die Russen" für den Krieg verantwortlich zu machen. Es ist allein Putins Krieg.

Die Wahrheit ist immer das erste Opfer eines Krieges. Die Erkenntnis ist nicht neu, im Zeitalter des digitalen Informationskrieges gilt sie fatalerweise sogar mehr denn je. Auf dem Fuß aber folgt ein weiteres schnelles Opfer: die Gerechtigkeit.

Nicht nur, weil – wie jetzt Russlands Präsident Wladimir Putin in der Ukraine – der Stärkere sein vermeintliches "Recht" rücksichts- und skrupellos durchsetzen kann. Die Gerechtigkeit wird auch zum Kriegsopfer, wenn "die Russen" und "die Belarussen" pauschal für das Bombardieren und Töten in der Ukraine verantwortlich gemacht werden. Russischsprachige Männer, Frauen und Kinder sind in Deutschland seit Ausbruch des Krieges wiederholt körperlich angegriffen, ausgegrenzt, beleidigt, gemobbt, Hassattacken ausgesetzt worden, ihre Autos und Geschäfte wurden beschädigt oder beschmiert. Es herrscht eine "emotional aufgeheizte Stimmung", stellte beispielsweise das Innenministerium von Rheinland-Pfalz kürzlich fest.

Anfeindungen treffen Russen, die Putin verurteilen

Das Fatale, das Ungerechte daran: Die Anfeindungen treffen viele Russen und Russinnen, die gerade jetzt Putin und den Krieg verurteilen und/oder die sich bei den vielen Hilfsaktionen für die Ukraine engagieren. Die selber Angst um Familienangehörige aus dem "Brudervolk" haben. Die Stellung beziehen, obwohl sie wissen, dass sie dadurch auf absehbare Zeit wohl nicht mehr gefahrlos in ihr Heimatland reisen können. Die Anfeindungen treffen Belarussen, die noch vor gar nicht langer Zeit für ihren Widerstand gegen den Machthaber und Putin-Verbündeten Lukaschenko bewundert wurden. Und die Anfeindungen treffen sogar ukrainische Bürger und hier lebende Menschen mit ukrainischen Wurzeln. Menschen also, die selber Leidtragende sind, deren Angehörige gerade in der Ukraine sterben oder tagtäglich um ihr Leben fürchten müssen. Die Anfeindungen treffen also die Falschen.

Natürlich. Es gibt auch die, die Putin und seinen Krieg unterstützen, die die absurden Erzählungen von einer Bedrohung durch ein angeblich faschistisches Regime in Kiew glauben, die wegen der umfassenden Zensur aller Medien in Russland nicht einmal zur Kenntnis nehmen können oder wollen, dass überhaupt Krieg in der Ukraine herrscht. Eine Ukrainerin berichtete davon, wie sie Verwandte in Russland angerufen habe, die ihr nicht geglaubt hätten, dass Kiew bombardiert werde und sie selber im Keller sitze. "Die haben mich ausgelacht", so die Frau unter Tränen.

Noch so ein Opfer von Krisen und Krieg: Vertrauen. Wir haben das hierzulande erst kürzlich selber erfahren, als Corona-Leugnung und Querdenkerei Freundschaften und Familien zerbrechen ließen. Aktuell verhindert der Verlust von Vertrauen (bisher), dass ein Waffenstillstand lange genug eingehalten wird, um Zivilisten und Verletzte aus dem Kriegsgebiet in Sicherheit zu bringen.

Russland: Nicht alle Brücken einreißen

Das alles ist schwer erträglich. Trotzdem dürfen nicht alle Brücken abgebrochen werden, darf es keine pauschale Verurteilung geben. Solange die Kämpfe in der Ukraine andauern, solange es Tote gibt und die Gefahr einer Ausweitung des Krieges real ist, so lange sind die harten Sanktionen auf allen Gebieten bis hin zu Sport und Kultur richtig – auch wenn diese, ebenso wie die Anfeindungen hierzulande, viele zu Unrecht treffen. Darunter sind leider auch die Mutigen, die Putin und seinem Krieg in Russland die Stirn bieten. Es muss auf jeden Fall die Chance auf eine Annäherung gewahrt bleiben – in einer hoffentlich nicht allzu fernen Zeit nach dem Krieg, womöglich nach Putin.

"Unser Feind ist weder das russische Volk, noch sind es die Menschen, die sich ihm verbunden fühlen", verurteilte CDU-Chef Friedrich Merz via Twitter zu Recht die Anfeindungen russisch-stämmiger Mitbürger seit Kriegsausbruch. Denn, so Außenministerin Annalena Baerbock: "Der Krieg in der Ukraine ist Putins Krieg."

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Du bist hier nicht 'der Russe'"

Es war am Tag nach dem Kriegsausbruch, als mir ein Nachbar von seinem russischen Kollegen berichtete. Beschämt über den Überfall seines Heimatlandes auf die Ukraine habe dieser gefragt, ob er seine Haltung zum Krieg darlegen dürfe. Andererseits könne er aber auch verstehen, so der russische Kollege damals, wenn man die Zusammenarbeit mit ihm sofort beenden wolle. Mein Nachbar berichtete, dass er darauf sofort mit den Worten reagiert habe: "Du bist hier nicht 'der Russe'."

Das kann, das sollte unsere Haltung sein. Denn russischsprachige Mitbürger:innen pauschal auszugrenzen, ist nicht nur ungerecht, es würde auch dem Aggressor in die Hände spielen. Entsprechende Stimmungsmache in den sozialen Medien ist bereits zu beobachten. Es würde das Narrativ von der angeblichen Geringschätzung Russlands und einer vermeintlichen Bedrohung durch den Westen weiter nähren. Es wäre nur ein weiterer Sieg für Putin.