Trotz der klaren Festlegung der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel bei der Reform der Sozialsysteme geht in der Union der Streit über die Linie der Schwesterparteien weiter. Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Horst Seehofer kritisierte die von Merkel unterstützten Reformvorschläge der Herzog-Kommission massiv. Derweil legte Hamburgs Regierungschef Ole von Beust (CDU) einen eigenen Vorschlag für das Vorziehen der Steuerreform vor. Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) lehnte vorgezogene Steuersenkungen aus Finanzierungsgründen aber erneut ab.
Seehofer: "Selten hat mich etwas so schockiert"
Über die Vorstellungen der Kommission um Alt-Bundespräsident Roman Herzog zur Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung berät der CDU- Vorstand an diesem Montag. Der CSU-Sozialexperte Seehofer warnte die Schwesterpartei CDU eindringlich vor der Übernahme der Herzog- Vorschläge. "Selten hat mich etwas so schockiert wie diese Vorschläge", sagte er der "Berliner Zeitung". Der von dem Gremium eingeschlagene Kurs könne die Mehrheitsfähigkeit der Union langfristig gefährden.
Hauptbetroffene seien Geringverdiener und Kranke, während die Wirtschaft in hohem Maße entlastet werde. Der "Bild am Sonntag" sagte Seehofer: "Das wäre ein Richtungswechsel in der Sozialpolitik, wie es ihn in der Geschichte der Parteien noch nie gegeben hat." Der CSU- Vize kündigte erneut ein eigenes Reformkonzept der CSU an, "das deutlich sozialer aussehen wird als das von Herzog".
Die Ministerpräsidenten von Sachsen und Thüringen, Georg Milbradt und Dieter Althaus (beide CDU) wandten sich gegen eine voreilige Ablehnung der Herzog-Ideen. "Wenn man von vornherein eine Diskussion mit Stoppschildern versieht, kommt man nicht weiter", sagte Althaus am Samstag auf Anfrage. Die Herzog-Kommission habe einen sehr nachdenkenswerten Ansatz gewagt. Milbradt meinte: "Bei den Vorschlägen ist besonders hervorzuheben, dass die langfristige demographische Entwicklung endlich beachtet wird."
Von Beust mit neuen Steuerplänen
In der Steuerdebatte will Beust die Anhebung des Steuerfreibetrags um ein Jahr auf 2004 vorziehen, die Steuersätze aber nur halb so stark senken wie von Rot-Grün geplant. Durch sein Modell "würde sich der Finanzierungsbedarf gegenüber den Plänen der Bundesregierung von 15 auf 8 Milliarden Euro fast halbieren", sagte Beust dem Nachrichtenmagazin "Focus". Dieser Betrag lasse sich durch den Abbau von Subventionen und Steuervergünstigungen "nahezu vollständig" finanzieren. Diesen Mittelweg könnten "wir uns kurzfristig leisten, um die Kaufkraft zu stärken und die Konjunktur anzustoßen".
Koch sagte dagegen der "Welt am Sonntag": "Ich halte die Wirkung einer Steuersenkung, die ein Jahr vorgezogen wird, im Verhältnis zu dem Schaden, den die zusätzliche Verschuldung anrichtet, für zu gering." Dem "Focus" sagte er, zwar müsse der Staat in einer Konjunkturkrise unter Umständen auch Schulden in Kauf nehmen. "Aber wir haben eben keine Konjunkturkrise, sondern eine Struktur- und Vertrauenskrise."
Zuvor hatte bereits der Unions-Mittelstand neue Schulden abgelehnt und ein Sechs-Punkte-Programm zur Finanzierung der vorgezogenen Steuerreform vorgelegt. Im Gegensatz dazu hatte CSU-Chef Edmund Stoiber unlängst gesagt, es sei akzeptabel, wenn maximal ein Viertel der Kosten durch neue Schulden finanziert würden.

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Derweil zeichnet sich bei der Betreuung von Langzeitarbeitslosen in der Union ein Entgegenkommen in Richtung Bundesregierung ab. Bislang wollte sie die Betreuung den Kommunen übertragen, die Regierung hingegen den Arbeitsämtern. "Die Trägerschaftsfrage ist aber inzwischen sowohl bei uns als auch im Wirtschaftsministerium kein Evangelium mehr", sagte der Vorsitzende der CDU/CSU- Arbeitsgruppe Wirtschaft und Arbeit, Karl-Josef Laumann, der "Welt am Sonntag".