Versammlungsrecht Keine grölenden Neonazis am Holocaust-Denkmal

Rot-Grün hat sich darauf geeinigt, das Versammlungsrecht zu verschärfen. Demos von Extremisten an sensiblen Orten können so leichter verboten werden. Auch die Verherrlichung von NS-Verbrechen wird härter geahndet.

Nach tagelangem Ringen hat sich die rot-grüne Koalition auf eine Verschärfung des Versammlungs- und Strafrechts geeinigt. Kernpunkt der Neuregelung im Kampf gegen Rechtsextremismus ist die Ausweitung des Straftatbestandes der Volksverhetzung. Wie SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz am Dienstag bestätigte, sollen Extremisten, die Naziverbrechen billigen oder verherrlichen und dadurch die Menschenwürde der Opfer verletzen, künftig mit bis zu drei Jahren Haft bestraft werden können.

Die "Auschwitzlüge"

Mit dem Schlagwort "Auschwitzlüge" wird in Zweifel gezogen, dass die Nationalsozialisten während ihrer Herrschaft Millionen Juden in Auschwitz und anderen Lagern systematisch ermordet haben. Nach deutschem Recht stört den "öffentlichen Frieden", wer diese laut Bundesgerichtshof "historische Tatsache" öffentlich leugnet, verharmlost oder billigt. Paragraf 130 ("Volksverhetzung") des Strafgesetzbuches droht den Tätern seit 1994 mit bis zu fünf Jahren Haft oder Geldstrafe. Die Staatsanwaltschaft muss tätig werden. Zuvor konnte die These von der so genannten Auschwitzlüge nur als Verleumdung geahndet werden, wenn sich Menschen jüdischen Glaubens in ihren Persönlichkeitsrechten beleidigt fühlten.

1973 hatte der deutsche Neonazi Thies Christophersen in seiner Broschüre "Die Auschwitzlüge" das frühere Konzentrationslager als eher harmlosen Ort für Häftlinge geschildert. In seinem "Leuchter- Report" versuchte der Amerikaner Fred Leuchter Ende der 80er Jahre mit technischen Argumenten zu beweisen, dass die Massenmorde in den Gaskammern von Auschwitz und anderen Lagern gar nicht möglich gewesen seien. Diese These wurde auch von dem britischen Historiker David Irving verbreitet.

Zugleich sollen Versammlungen leichter verboten werden können, wenn sie an einer Gedenkstätte von überregionaler Bedeutung stattfinden, die an die Opfer unwürdiger Behandlung erinnert. Dabei wird ausdrücklich auf das Holocaust-Mahnmal in Berlin hingewiesen. Andere Gedenkstätten sollen die Länder selbst festlegen. Auslöser für die Neuregelung ist die geplante NPD-Demonstration am 8. Mai am Brandenburger Tor.

Einigung mit Union offen

Ob es zu einer Einigung mit der Union kommt, ist noch offen. Die Union signalisierte zwar wiederholt Kompromissbereitschaft, möchte aber in jedem Fall auch das Brandenburger Tor in Berlin vor Aufmärschen von Neonazis schützen. Dies hält wiederum die Koalition für verfassungsrechtlich bedenklich. Die Zeit drängt, da das rot-grüne Gesetzesvorhaben schon am kommenden Freitag im Bundestag verabschiedet werden soll. Die Vorschläge müssen als Änderungsanträge in den bereits vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht werden, der schon vergangene Woche in erster Lesung im Bundestag beraten wurde.

Von zentraler Bedeutung für den jetzt gefundenen Kompromiss ist die konkrete Eingrenzung der Strafbarkeit beim Tatbestand der Volksverhetzung. Nach den Vorstellungen der Koalition soll künftig bestraft werden, wer unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft begangene Menschenrechtsverletzungen billigt oder verherrlicht und dadurch die Menschenwürde der Opfer verletzt. Mit dieser Eingrenzung sei die Strafvorschrift verfassungsfest, hieß es.

Menschenwürde als zentrales Kriterium

Wegen verfassungsrechtlicher Bedenken hatten die Rechts- und Innenpolitiker der Fraktionen vergangene Woche entsprechende Gesetzentwürfe von Bundesinnenminister Otto Schily und Justizministerin Brigitte Zypries gekippt. Diese hatten geplant, schon das Verharmlosen nationalsozialistischer Verbrechen unter Strafe zu stellen, und zwar stets dann, wenn das Vorgehen der Demonstranten geeignet sei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu stören. Stattdessen soll jetzt die Menschenwürde der Opfer zentrales Kriterium sein.

AP
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