Union und SPD wollen im Streit über ein neues Versammlungsrecht wohl doch Möglichkeiten für eine gemeinsame Lösung sondieren. Die Innenexperten der beiden Bundestagsfraktionen, Wolfgang Bosbach (CDU) und Dieter Wiefelspütz (SPD), sagten der "Passauer Neuen Presse", sie seien zu Gesprächen über einen fraktionsübergreifenden Gesetzentwurf in der kommenden Woche bereit.
"Warum sollte im Interesse der Demokratie kein gemeinsames Vorgehen gelingen", sagte Wiefelspütz. Unionsfraktionsvize Bosbach sagte: "Entscheidend ist für uns der Schutz des Brandenburger Tors und des Holocaust-Mahnmals."
Auch Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) hat die Parteien zu einer Verständigung bei der umstrittenen Veränderung des Versammlungsrechts aufgerufen. "Meine ganz herzliche Bitte ist, dass wir zusammenkommen und uns ernsthaft bemühen, uns den jeweiligen Vorstellungen anzunähern", sagte Schily. Dann würden die Parteien ihrer besonderen Verantwortung gerecht.
Stichwort Bannmeile
Mit dem Umzug von Bonn nach Berlin wurde nach mehr als 44 Jahren die Bannmeile durch einen befriedeten Bezirk abgelöst. Nach dem Bannmeilengesetz von 1955 waren öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel, Aufzüge und politische Demonstrationen in diesem Bereich untersagt, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit also eingeschränkt. Bei Verstößen gegen das Bannmeilengesetz drohten Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten oder Geldstrafen.
Das Gesetz über befriedete Bezirke schützt den Bundestag, den Bundesrat und das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Anders als bei der früheren Bannmeile sind "öffentliche Versammlungen unter freiem Himmel und Aufzüge innerhalb der befriedeten Bezirke zuzulassen, wenn eine Beeinträchtigung der Tätigkeit des Deutschen Bundestages und seiner Fraktionen, des Bundesrates und des Bundesverfassungsgerichts sowie ihrer Organe und Gremien und eine Behinderung des freien Zugangs zu ihren in dem befriedeten Bezirk gelegenen Gebäuden nicht zu besorgen ist."
Eine Zulassung kann mit Auflagen verbunden werden. Das Gesetz definiert genau mit Straßennamen die befriedeten Bezirke. Der befriedete Bezirk um den Reichstag in Berlin ist wesentlich enger gezogen als die frühere Bannmeile in Bonn. Das Brandenburger Tor und das Holocaust-Mahnmal gehören nicht dazu. Schwere Verstöße sind eine Ordnungswidrigkeit, die mit Geldbußen von bis zu 15.000 Euro geahndet werden kann.
Bosbach sagte am Freitag im Bundesrat: "Wir sind bereit, den Gesetzentwurf der Koalition wohlwollend zu prüfen." SPD und Grüne wollen das Verbot rechtsextremistischer Demonstrationen an bestimmten Gedenkorten wie dem Berliner Holocaust-Mahnmal ermöglichen. Die Union setzt sich dagegen für eine Ausweitung der Bundestagsbannmeile auf das Brandenburger Tor und das Holocaust-Mahnmal ein. Historisch bedeutende Orte wie das Brandenburger Tor dürften Rechtsextremisten nicht als "medienwirksame Kulisse für unappetitliche Aufzüge" überlassen werden, sagte Bosbach.
Die geplante Verschärfung des Versammlungsrechts soll in der kommenden Woche vom Bundestag verabschiedet werden, wie Wiefelspütz ankündigte. Der Bundestag wird sich an diesem Freitag in erster Lesung mit dem von SPD und Grünen vorgelegten Gesetzentwurf befassen. "Das Gesetz wird geeignet sein, rechtsextreme Versammlungen besser zu verbieten, aus denen heraus die Würde der Opfer des Nationalsozialismus angegriffen wird", sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck.
Die Koalitionsfraktionen hatten den von Bundesinnenminister Otto Schily und Justizministerin Brigitte Zypries (beide SPD) vorgelegten Entwurf nachgebessert und als ihren Gesetzentwurf eingebracht. Nach Worten von Bundeskanzler Gerhard Schröder gibt es deswegen zwischen Regierung und Koalitionsfraktionen "keinen grundsätzlichen Dissens". Es komme darauf an, dass Demonstrationen an bestimmten Orten verboten werden können, sagte er im NDR.
Die Union will mit ihrem Vorstoß ebenso wie die Koalition verhindern, dass am 8. Mai zum 60. Jahrestag des Kriegsendes die NPD am Brandenburger Tor demonstriert.

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick
Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!
Der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) sagte im Deutschlandfunk, die Innenministerkonferenz verhandele seit fünf Jahren ohne Ergebnis über eine Verhinderung von Extremisten-Demonstrationen an historisch sensiblen Orten. Nun solle das Versammlungsrecht in einem Schnellschuss innerhalb von zwei Monaten verschärft werden. Es hätte schon vor zwei Jahren eine Lösung geben können, zu der Rot-Grün aber nicht bereit gewesen sei. "Das ist Dilettantismus pur", kritisierte Schönbohm. Wenn das Versammlungsrecht nicht verfassungsfest neu geregelt werde, drohe wie beim gescheiterten Anlauf zum Verbot der rechtsextremen NPD erneut eine Blamage.