Es war der bisher schwerste Härtetest für die rot-grüne Koalition. Am 16. November 2001 stellte Bundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestag die Vertrauensfrage, um sich Rückendeckung für den Anti-Terror-Einsatz der Bundeswehr zu holen. Wegen des Widerstands von acht Abgeordneten der Grünen gegen eine deutsche Beteiligung an der Operation "Enduring Freedom" stand das rot-grüne Regierungsbündnis tagelang auf der Kippe. Die Hälfte der Abweichler schwenkte in letzter Minute auf ein Ja um und rettet damit Kanzler und Koalition.
"Völkerrechtswidriger Angriffskrieg"
Vier Grüne blieben damals bei ihrer Ablehnung, darunter Winfried Hermann und Hans-Christian Ströbele. Jetzt könnten die beiden dem Kanzler wieder Ärger bereiten. Die Ex-Dissidenten fordern eine eindeutige Klärung der Frage, ob der Golfkrieg aus deutscher Sicht völkerrechtswidrig ist oder nicht. Damit rütteln sie auch an den Zusagen, die Kanzler Schröder den USA und anderen NATO-Partnern für den Kriegsfall gemacht hat: die Gewährung von Überflugrechten, die Nutzung der US-Militärbasen und die Beteiligung an den Einsätzen von AWACS-Aufklärungsflugzeugen über der Türkei.
Würde man den Krieg der USA gegen Irak als einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg ansehen, wäre auch die Rechtmäßigkeit der deutschen Unterstützung für die Amerikaner in Frage gestellt. Nach Artikel 26 des Grundgesetzes ist die Beteiligung an einem Angriffskrieg verboten und sogar ein Straftatbestand.
Die Bundesregierung hat zu der Völkerrechtsfrage noch nicht Stellung bezogen. Schröder hat die Zusagen an die USA in den vergangenen Tagen unter dem Hinweis auf Bündnisverpflichtungen immer wieder bekräftigt. Auch die deutsche Beteiligung an dem AWACS-Einsatz stehe nicht in Frage. Die "ausschließliche Aufgabe" der Aufklärungsflugzeuge sei die strikt defensive Luftraumüberwachung über einem NATO-Land. Diese Kanzlermeinung unterstützte am Donnerstag die rot-grüne Mehrheit im Parlament. Sie lehnte einen FDP-Antrag ab, nach dem der Bundestag über den Verbleib deutscher Soldaten in den AWACS-Maschinen entscheiden sollte.
"Im Bundestag findet diese Debatte nicht statt"
Dennoch stört es Hermann und Ströbele, dass sich die Regierung in der Völkerrechtsfrage nicht genau positioniert. Diese bestimme seit Tagen die öffentliche Diskussion in Deutschland, sagte Hermann. "Hier im Bundestag findet diese Debatte aber nicht statt", beklagte der Grünen-Politiker. Wenn die Opposition nicht in der Lage sei, diese Diskussion anzustoßen, müsse die Initiative eben aus der Koalition kommen. Diese Auffassung vertrete zwar nur eine kleine Gruppe innerhalb der Fraktion, aber eine Hand voll Abgeordnete seien schon dabei.
Wenn eine politische Klärung der Völkerrechtsfrage durch die Regierung nicht möglich sei, müsse es eben eine gerichtliche geben, meinte Hermann. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts würde er begrüßen. "Das würde auch die Regierung entlasten." Ähnlich äußert sich Ströbele. "Wir überlegen jetzt, wie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts herbeigeführt werden kann", sagte er der "Rheinischen Post". Sollte der Krieg völkerrechtswidrig sein, "dann muss die Bundesregierung dafür sorgen, dass keinerlei Unterstützung des Krieges von Deutschland aus geleistet wird".

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Bei der Bundesanwaltschaft sind bereits mehrere Klagen gegen die Bundesregierung wegen der mutmaßlichen Vorbereitung eines Angriffskriegs eingegangen. Unter den Klägern sollen Medienberichten zufolge die Bayernpartei, die PDS, ein Rechtsanwalt und ein Privatmann sein. In diese Reihe wollen sich die Grünen-Abgeordneten um Ströbele und Hermann allerdings nicht einordnen. "Ich werde nicht meinen eigenen Kanzler anzeigen", sagte Hermann.
Michael Fischer