Vor Spitzentreffen im Kanzleramt Gauck spaltet die Koalition

Am Sonntagabend treffen sich Schwarz-Gelb und Rot-Grün im Kanzleramt, um den Wulff-Nachfolger zu küren. Alle würden Gauck wählen - bis auf die Union.

Bei der Suche nach einem neuen Bundespräsidenten hat sich die schwarz-gelbe Koalition über eine Kandidatur des rot-grünen Favoriten Joachim Gauck tief zerstritten. Mitten in die Verhandlungen hinein sprach sich das FDP-Präsidium einstimmig dafür aus, eine mögliche Kandidatur Gaucks zu unterstützen. Ein Parteisprecher bestätigte entsprechende Informationen der Nachrichtenagentur DPA.

Die Unionsspitze lehnte Gauck umgehend als Konsenskandidaten ab. Denkbar schien, dass Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch am Sonntagabend einen neuen Vorschlag unterbreiten würde. SPD und Grüne wurden zu einem Gespräch mit den Koalitionsspitzen um 20 Uhr ins Kanzleramt eingeladen.

Der überraschende FDP-Vorstoß löste dem Vernehmen nach teils heftige Reaktionen im Unionslager aus. Die Lage war verfahren, weil die FDP zugleich auch die von der Union vorgeschlagenen Kompromisslösungen Altbischof Wolfgang Huber und Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU) nicht haben will.

Einigen sich SPD und Union auf Töpfer?

Ein hochrangiger Unionspolitiker sagte der DPA, Gauck sei CDU und CSU nicht zu vermitteln. Der Gründungschef der Stasiunterlagen-Behörde hatte 2010 gegen den am Freitag zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff kandidiert und erst im dritten Wahlgang verloren. Nicht ausgeschlossen wurde, dass die Union sich an ihrem Koalitionspartner FDP vorbei mit SPD und Grünen auf Töpfer einigen könnte.

In einer Verhandlungspause hatte sich das FDP-Präsidium in einer Telefonschalte einmütig für Gauck ausgesprochen. Parteichef Philipp Rösler und Fraktionschef Rainer Brüderle gingen mit dem Vorschlag zurück in die Runde mit der Union.

FDP-Gesundheitsminister Daniel Bahr sagte der DPA: "Ich fordere die Union auf, über ihren Schatten zu springen." Er könne nicht verstehen, dass in dieser besonderen Situation CDU und CSU Gauck, der breiten Rückhalt bei den Bürgern habe, nicht unterstützen könnten. "Er kann dem Amt wieder Anerkennung und Respekt verschaffen."

Union will Entscheidung bis Montag

FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle sagte in einem vorab aufgezeichneten Interview für den ARD-"Bericht aus Berlin" über Gauck: "Das ist ohne Frage ein respektabler und anzuerkennender Kandidat, und wir sind im Dialog, ob beim Schluss die Entscheidung in diese Richtung geht oder in eine andere."

In der Union hieß es, trotz allem werde daran festgehalten, schnellstmöglich - noch am Sonntag oder Montag - einen parteiübergreifend anerkannten Kandidaten zu finden. Für andere Kandidaten als Gauck seien CDU und CSU offen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

Das Wichtigste aus der Bundespolitik auf einen Blick

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Hauptstadt-Newsletter – und lesen Sie die wichtigsten Infos der Woche, von unseren Berliner Politik-Expertinnen und -Experten für Sie ausgewählt!

Die von Schwarz-Gelb angestrebte rasche Lösung wurde erschwert, weil nicht nur im Regierungs-, sondern auch im Oppositionslager mögliche Kompromisskandidaten auf Kritik stießen. Der schwarz-gelbe Favorit Andreas Voßkuhle, Präsident des Bundesverfassungsgerichts, hatte eine Kandidatur abgelehnt.

FDP lehnt Petra Roth ab

Die von der Union ebenfalls genannte Frankfurter Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) wurde von der FDP abgelehnt, weil ihre Wahl ein zu starkes Signal für Schwarz-Grün im Bund wäre. Roth regiert seit 2006 in Frankfurt ein Bündnis mit den Grünen.

Der mögliche Kandidat Huber, früherer Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, stieß bei FDP, Grünen und im katholischen CDU-Flügel auf starke Vorbehalte. Aus Grünen-Kreisen hieß es, Huber habe sich zum Beispiel deutlich gegen einen EU-Beitritt der Türkei ausgesprochen. Der bei Rot-Grün geschätzte Töpfer fand keine Zustimmung der FDP, weil er zu stark für eine grüne Energiepolitik stehe, hieß es.

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel warnte in der "Bild am Sonntag" die Koalition, seine Partei werde nicht nach dem Motto "Friss oder stirb" einen schwarz-gelben Vorschlag akzeptieren. Grünen-Chef Cem Özdemir verlangte in der "Welt" ein Treffen, in das Schwarz-Gelb "ohne bornierte Vorfestlegungen gehen muss". Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kritisierte, die Suche werde zu einem "quälenden Schauspiel", dies sei "dem Amt nicht angemessen".

Gauck liegt in Umfragen vorn

Können sich Union und FDP nicht mit SPD und Grünen auf einen gemeinsamen Vorschlag einigen, droht wie vor zwei Jahren eine Kampfabstimmung in der Bundesversammlung. Dort hat Schwarz-Gelb nur eine hauchdünne Mehrheit. Merkel müsste einen eigenen Kandidaten präsentieren, der gegen Gauck bestehen kann. Die Bundesversammlung muss bis zum 18. März ein neues Staatsoberhaupt wählen.

Gauck äußerte sich weiterhin nicht zu seinen Ambitionen. "Rufen Sie doch Frau Merkel an", antwortete er am Sonntag vor einem Podiumsgespräch in Wien auf Journalistenfragen.

Gauck ist nach mehreren Umfragen klarer Favorit der Bürger. Rund jeder Zweite hält ihn für geeignet. In einer Emnid-Umfrage für die "Bild am Sonntag" wünschten sich unabhängig von der Person 79 Prozent der Befragten einen Kandidaten von außerhalb des Politikbetriebes.

DPA
be/DPA/AFP