Taurus-Streit Strack-Zimmermann düpiert den Kanzler – und jetzt?

Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2024. Die FDP-Politikerin fordert schon seit Monaten "Taurus"-Lieferungen an die Ukraine
Marie-Agnes Strack-Zimmermann bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2024. Die FDP-Politikerin fordert schon seit Monaten "Taurus"-Lieferungen an die Ukraine
©  Tobias Hase / dpa
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann will einen Ukraine-Antrag der Union unterstützen – ein Affront gegen den Kanzler. Was hinter ihrer Fehde mit Olaf Scholz steckt. 

Mit journalistischen Produkten, die mitten in einer Sitzungswoche des Bundestags entstehen, gibt es ein Problem. Sie werden schnell vom Geschehen überholt. Das war schon immer so. Und das gilt umso mehr, seit eine Ampelkoalition regiert, deren Mitglieder in wechselseitiger Abneigung nicht immer wissen, was sie morgen für den anderen tun. Oder eben nicht.

Es bleibt also Vorsicht geboten, wenn es nun darum gehen soll, was am Donnerstag im Bundestag passiert – und warum das, vorsichtig ausgedrückt, bemerkenswert ist. Was folgt, ist also der Stand jetzt, Dienstagabend, 18 Uhr. 

Was wir wissen: FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann will einem Oppositionsantrag der Union zustimmen. Was wir nicht wissen: Wie viele Abgeordnete der Liberalen sich ihr anschließen werden. Und ob Strack-Zimmermann auch einem Antrag der Ampelkoalition zustimmen wird – oder ob sie sich enthält.

Klingt ein bisschen egal? Ist es ganz und gar nicht. Klar, Anträge sind keine Gesetze. Sie sind Empfehlungen an die Bundesregierung, aus denen nicht viel folgen muss. In diesem konkreten Fall aber geht es um nicht weniger als eine Selbstvergewisserung der deutschen Unterstützung für die Ukraine in einer höchst kritischen Phase des Krieges. Es geht um eine einst friedensbewegte Partei und ihren Kanzler. 

Für Strack-Zimmermann geht es am Ende um ein Versprechen. Und um ihre Überzeugung, ihre Glaubwürdigkeit.

Strack-Zimmermann war immer Scholz-Kritikerin

Die FDP-Politikerin entzieht sich am Donnerstag der Fraktionsdisziplin. Strack-Zimmermann ist inzwischen Spitzenkandidatin ihrer Partei für die Europawahl. Sie ist so frei. 

Nach zwei Jahren Unzufriedenheit mit Olaf Scholz stimmt sie nun ganz offen mit der Opposition von CDU und CSU gegen den Kanzler. Die Liberale war immer eine seiner schärfsten Kritikerinnen in der Ampel. Betonung auf: in der Ampel. Wenn man so will, endet nun dieses besondere Verhältnis zweier Politiker Jahrgang 1958, die nie wirklich Verständnis füreinander entwickelt haben. 

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Als Vorsitzende des Verteidigungsausschusses hat Strack-Zimmermann seit dem russischen Überfall für deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine geworben. "Nicht zaudern, nicht zögern, das ist das Gebot der Stunde", rief sie beim FDP-Parteitag im April 2022 in den Saal. Die Delegierten feierten sie mit minutenlangem Beifall. Ihre Rede wurde als das verstanden, was sie sein sollte: eine Ansage an einen zögerlichen Kanzler. 

In den Monaten danach lief es so: Scholz entschied, was Strack-Zimmermann forderte – in ihren Augen stets zu spät. Nicht immer fand sie nur kritische Worte für den Kanzler. "Ich würde ihn nicht als humorlos beschreiben. Es gibt durchaus Momente, über die ich geschmunzelt habe. Aber er hat das Erklären nicht erfunden", sagte sie vergangenen Sommer im stern-Gespräch.

"Boah, die Alte nervt"

Was der Kanzler über sie sagte, ist nicht ganz so gut dokumentiert. Scholz spart sich öffentliche Kopfnoten für Kolleginnen und Kollegen normalerweise. Dass er Strack-Zimmermann und andere kritische Abgeordnete mal diese "Jungs und Mädels" nannte, hat sie nicht vergessen. Und was Scholz‘ außenpolitischer Berater bei einem ihrer Aufritte gesagt haben soll, schlägt die Betroffene selbst durch ständige Wiederholung fürs Bonmot-Archiv vor: "Boah, die Alte nervt."

Wen sie nicht nervt, der findet sie klasse. Mit ihrem Engagement für die Ukraine hat Strack-Zimmermann einen stabilen Unterstützerkreis in sozialen Netzwerken aufgebaut. Was nicht besonders hilfreich war, als sie im Januar in ein Glaubwürdigkeitsdilemma geriet. Die größte Oppositionsfraktion hatte ihr eine parlamentarische Falle gestellt. CDU und CSU brachten einen Antrag ein, der auch Taurus-Lieferungen forderte, jene Marschflugköper, die die Ukraine so gerne hätte – und für die Strack-Zimmermann schon länger wirbt. 

Dennoch stimmte sie gegen diesen Antrag. Was für ein Mitglied einer Regierungsfraktion nicht der Rede wert sein sollte, bescherte ihr viel Kritik. Der Vorwurf: In Fragen von Krieg und Frieden muss das eigene Gewissen wichtiger sein als parlamentarische Gepflogenheiten. Strack-Zimmermann versprach: "Spätestens im Februar muss und wird ein Antrag der Ampel-Parteien vorliegen, der die Lieferung von Taurus und die weitere Unterstützung der Ukraine beinhaltet. Ohne Wenn und Aber." 

Die SPD hat sich bewegt

Ende Februar ist jetzt. Die Ampel-Fraktionen bringen ihren Antrag am Donnerstag ein. Der Taurus kommt nicht vor – zumindest wird er nicht namentlich erwähnt. In dem Dokument allerdings gibt es eine Passage, die sehr konkret beschreibt, was getan werden muss. Deutschland solle Waffensysteme liefern, die der Ukraine "völkerrechtskonforme, gezielte Angriffe auf strategisch relevante Ziele weit im rückwärtigen Bereich des russischen Aggressors" ermöglichen sollen. 

Damit kann nur der Taurus gemeint sein, sagt Strack-Zimmermann. Und ist trotzdem nicht zufrieden. Dabei umfasst der Antrag weit mehr als Waffenlieferungen allein. Die Ukraine muss den Verteidigungskampf gewinnen und alle ihre Gebiete zurückbekommen, steht da. Die Krim müsse befreit werden. Deutschland habe sich in der Vergangenheit nicht ausreichend von Putins Regime distanziert. 

Der Text ist in einer Deutlichkeit verfasst, die für viele Sozialdemokraten nur knapp am Verrat aller außenpolitischen Tradition der Bundesrepublik vorbeischrammt. Strack-Zimmermann weiß das. Sie verbucht es auch als ihren Erfolg. Der Antrag zeige, sagt sie, "dass unser Druck sowie der Druck der aktuellen Ereignisse auf die SPD endlich gewirkt haben". 

Trotzdem, es hilft ja nichts: Sie hat Taurus gewollt, und Taurus stehen nicht drin. Deshalb stimmt sie mit der Union. Sie tut also, was sie im Januar nicht wollte. Gewinnt man so an Glaubwürdigkeit?

Ein "Flugzwerg" hilft

Für ein Fazit der Taurus-Wochen zwischen dem Kanzler und der Grand Dame der FDP hilft in dieser bemerkenswerten Woche ein Zwischenruf aus Bordesholm. Ralf Stegner, SPD-Linker aus Schleswig-Holstein und in Fragen der Ukraine-Unterstützung dezidiert anderer Meinung als Strack-Zimmermann, kommentiert ihre Lage mit diesem Vergleich:

 "Beim Schach ist die Dame ja eine wichtige Figur und im Angriff nicht zu unterschätzen." Was man so lesen darf wie: Sie hat viel erreicht und durchgesetzt. Der Ampel-Antrag wäre ohne sie nicht so deutlich. Das erkennt selbst die Konkurrenz an. 

Stegner sagt weiter: "Bei allzu forschen unbedachten Zügen oder mangelndem Flankenschutz gerät sie leicht in Gefahr." Sie hat viel versprochen. Vielleicht mehr, als sie liefern konnte. Das macht sie nun erneut anfällig für Kritik von allen Seiten. 

"Manchmal wird sie auch geopfert und spielentscheidend ist am Ende immer der König."

Die FDP kann es sich nicht leisten, geschlossen mit Strack-Zimmermann für den Unionsantrag zu stimmen. Oder einen Bruch mit der SPD zu suchen, wo man doch so viel eigene Überzeugungen im gemeinsamen Antrag verankern konnte. Warum auch? Am Ende entscheidet ohnehin Olaf Scholz. 

Nur einen Aspekt hat Stegner in seiner Analogie vergessen: Strack-Zimmermann verlässt ohnehin das Berliner Schachbrett Richtung Brüssel und Straßburg. Es entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie, dass erst CDU-Chef Friedrich Merz kommen musste, um Strack-Zimmermanns Europawahlkampf vor einem Fehlstart zu bewahren. In einer Woche, in der FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai schwarz-gelbe Koalitionssehnsüchte geweckt hat, stimmt ausgerechnet jene Frau in guter alter bürgerlicher Tradition mit der Union, die Merz immer mal wieder als "Flugzwerg" verspottet – zuletzt vor einer Woche.