Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Klage eines 22-jährigen Wehrpflichtigen gegen die Einberufungspraxis der Bundeswehr zurückgewiesen. Der 6. Senat urteilte, dass die Einberufung des Studenten aus Kerpen nicht willkürlich erfolgt war. Zugleich erklärte das Gericht damit die Wehrpflicht für verfassungsgemäß.
Das Gericht gab mit der Entscheidung der Revision des Bundes statt und verwies den Fall zurück an eine andere Kammer der Vorinstanz, des Verwaltungsgerichts Köln. Die Kölner Richter hatten der Klage des Mannes zuvor stattgegeben und den Einberufungsbescheid aufgehoben. In der Kölner Urteilsbegründung hieß es, die Einberufung des Klägers sei willkürlich, denn durch die Einberufungspraxis der Bundeswehr sei keine Wehrgerechtigkeit mehr gegeben. Die Richter waren der Argumentation des Klägers gefolgt, wonach nicht mehr der überwiegende Teil der Wehrpflichtigen, sondern nur noch jeder Dritte einberufen werde. Der Bund hatte vor Gericht diese Zahlen bestritten.
Regierung ist Wehrpflicht-Problem trotz Urteils nicht los
Trotz des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts ist die rot-grüne Regierung das Problem der Wehrpflicht nicht los. Zwar haben die Richter in Leipzig am Mittwoch entschieden, die Einberufungspraxis von Verteidigungsminister Peter Struck verstoße nicht gegen das Grundgesetz und nicht gegen die Wehrgerechtigkeit. Doch in der SPD regt sich dauerhaft Widerstand gegen den Zwangsdienst für Männer, den die Grünen schon lange abschaffen wollen. Da mag Struck offiziell noch so entschieden an der Wehrpflicht festhalten - die langfristige Umstrukturierung der Bundeswehr lässt er vorsichtshalber bereits ohne Wehrdienst planen.
Die SPD sollte nach Ansicht ihres saarländischen Vorsitzenden Heiko Maas die politische Grundsatzentscheidung über die Zukunft der Wehrpflicht auch nicht Gerichten überlassen. Im Herbst wollen die Sozialdemokraten auf dem Bundesparteitag ihre Position festlegen. Die Wehrpflicht-Gegner in der SPD rechnen mit einer knappen Mehrheit für die Abschaffung, Struck hält dagegen. Er weiß aber, dass die Debatte in seiner Partei nicht zu Ende sein wird, wenn sie nicht mit klarer Mehrheit für den Erhalt stimmt. Und das erscheint angesichts zunehmender Kritik in den eigenen Reihen eher unwahrscheinlich. Und selbst in der Union kommen erste Zweifel auf.
Weitere Klagen werden dennoch folgen
In der Gesellschaft dürfte die Diskussion ohnehin weitergehen. Und junge Männer werden wohl auch weiterhin gegen ihre Einberufung klagen, weil sie keine Wehrgerechtigkeit mehr sehen. Dabei gibt es unterschiedliche Berechnungen. Struck sagt, die allermeisten Männer, die den neuen Einberufungskriterien entsprächen, würden auch zum Bund geholt. Gar nicht mehr in Betracht kommen inzwischen jedoch verheiratete Wehrpflichtige, Männer über 23 Jahre und alle ohne die ersten beiden Tauglichkeitsstufen. So rechnet der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei vor, es werde nur noch maximal jeder Fünfte eingezogen. Mit Gerechtigkeit habe das nichts mehr zu tun.
Das Bundesverfassungsgericht ließ die neuen Regelungen im vorigen Jahr zwar unbeanstandet, behielt sich aber eine Prüfung der Vereinbarkeit mit den Vorgaben im Grundgesetz vor. Dann würde auch zu klären sein, ob die Wehrgerechtigkeit noch gewahrt ist, wenn nur ein geringer Teil der in Frage kommenden Männer zur Bundeswehr muss, erklärten die Karlsruher Richter damals. Für das Kölner Verwaltungsgericht war diese Frage bereits geklärt. Strucks neue Einberufungspraxis verstoße gegen das Willkürverbot des Grundgesetzes, urteilte das Gericht im April vergangenen Jahres.
Kritiker um die stellvertretende SPD-Vorsitzende Ute Vogt werfen noch ein anderes Argument gegen die Wehrpflicht in die Waagschale: die Begründung des tiefen Einschnitts in die Freiheitsrechte junger Männer im Grundgesetz. Danach ist Voraussetzung für die Rekrutierung der Männer die Landesverteidigung. Und die hat für Struck und die Regierung längst nicht mehr oberste Priorität.

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DPA, AP, Reuters