Trauer um CDU-Politiker "Die Republik wäre ohne sein Wirken eine andere" – so kommentiert die Presse Schäubles Tod

Gedenken an Wolfgang Schäuble: Ein Foto des verstorbenen CDU-Politikers und ein Kondolenzbuch im Konrad-Adenauer-Haus
Gedenken an Wolfgang Schäuble: Ein Foto des verstorbenen CDU-Politikers und ein Kondolenzbuch liegen im Konrad-Adenauer-Haus
© Jörg Carstensen / DPA
Mit Wolfgang Schäuble ist einer der einflussreichsten Politiker der vergangenen Jahrzehnte gestorben. Sein Tod ist auch in den Kommentarspalten der Zeitungen ein großes Thema. Das schreibt die Presse über den Verstorbenen.
 

Wolfgang Schäuble war Bundestagspräsident und Bundesminister, er hatte maßgeblichen Anteil an der Verwirklichung der deutschen Einheit, er führte die CDU an und die Unionsfraktion. Niemand gehörte dem Parlament länger an als er. Nach seinem Tod wird Schäuble über die Parteigrenzen hinweg gewürdigt. Und auch die Medien blicken mit Respekt auf die Leistungen des CDU-Politikers.

Pressestimmen zum Tod von Wolfgang Schäuble:

"Südkurier" (Konstanz): Wolfgang Schäuble verstand Politik als Dienst an der Sache, als Ringen um die beste Lösung, als nervenzehrende Überzeugungsarbeit. Wo andere die Flinte ins Korn geworfen hätten, sah sich der von eiserner Disziplin beseelte Mann im Rollstuhl in der Pflicht. Er begann dort, wo es schwierig und komplex wurde, während andere gerne auf gestanzte Floskeln verfielen. Das war dem politischen Kunsthandwerker aus Offenburg fremd. Er sprach Klartext, auch wenn es Parteifreunde mitunter nervte. Erst kürzlich, nach dem von seiner Partei erwirkten Karlsruher Haushaltsurteil, warnte er die CDU, sie solle sich nicht zu früh freuen. Der Spruch werde auch unionsgeführte Länder belasten. So spricht nur einer, dem ehrliche Urteile von Wert sind. Deshalb schätzte man Wolfgang Schäuble nicht nur in der Arena der Politik, wo er durch Sachlichkeit und Kenntnisreichtum in einer Zeit hervorstach, in der diese Kompetenzen nicht mehr selbstverständlich sind. Sondern er war auch seinen Wählern daheim eine Autorität mit klarem Kompass.

"Stuttgarter Zeitung": Wolfgang Schäuble war aus dem Stoff, aus dem Kanzler geformt sind. Wille und Macht waren die Existenzformen, in denen er zu sich selbst fand. Es erschien übermenschlich, wie er 1990 nur Wochen nach dem Attentat, vom dritten Brustwirbel abwärts gelähmt, im Rollstuhl an die Arbeit zurückkehrte. Nicht minder staunenswert war, wie er trotz all der Beschwerlichkeiten, die eine solche Behinderung mit sich bringt, über Jahrzehnte höchste Staatsämter ausfüllte. Kanzlerschaft hin oder her. Wolfgang Schäuble war ein Leuchtturm: durch und durch Demokrat, immer bereit, entschlossen die Richtung zu weisen. Davon bräuchte es mehr in dieser Zeit. Denken können, reden können, handeln können. All das vermochte er. Damit war er am Ende ziemlich einsam.

"Allgemeine Zeitung" (Mainz): Dass Schäuble überhaupt so lange die deutsche Politik prägte, bleibt ein Wunder. Am 12. Oktober 1990 hatte ein psychisch Kranker ihn bei einem Wahlkampfauftritt niedergeschossen. Schäuble überlebte nur knapp, saß fortan im Rollstuhl und hatte immer wieder mit schweren gesundheitlichen Spätfolgen zu kämpfen. Das hat ihn nie daran gehindert, weiter Politik zu machen. Sein offensiver Umgang mit der Querschnittslähmung und seine Willenskraft haben Millionen Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen unendlich viel Mut gemacht. Auch das gehört zum Vermächtnis dieses politischen Giganten.

"Ein Vorbild an Kampfgeist und Durchhaltewillen"

"Reutlinger General-Anzeiger": Gerade das, was nach diesen persönlichen und beruflichen Rückschlägen folgte, macht den Menschen und Politiker Wolfgang Schäuble so herausragend. Nach dem Attentat und der folgenden Querschnittslähmung ließ er sich nicht hängen und kämpfte sich zurück. Ein Vorbild an Kampfgeist und Durchhaltewillen. Nicht ohne Dankbarkeit und Demut. Wenn andere in einer ähnlichen Situation das nicht geschafft hätten, liege das vielleicht auch daran, dass er sich in einer privilegierten Situation befinde und besonders gute Freunde habe, sagte er. Hochachtung, Wolfgang Schäuble.

"Neue Osnabrücker Zeitung": Schäuble verhandelte über die Wiedervereinigung und beförderte den Umzug des Parlaments von Bonn nach Berlin. Dass er Opfer eines Attentats wurde und danach querschnittsgelähmt war, hielt ihn nicht davon ab weiterzumachen. Neben den politischen Erfolgen beeindruckte Schäuble viele gerade in seinen politischen Niederlagen. Das Bundeskanzleramt wie das Amt des Bundespräsidenten blieben ihm verwehrt. Statt darüber zu klagen, widmete sich der Politiker der nächsten Aufgabe. Ein Staatsdiener im Wortsinn, ein Demokrat, der sein Talent nicht nur in Taten, sondern immer wieder in glänzender Rhetorik bewies.

"Badische Zeitung" (Freiburg): Wolfgang Schäuble als Vorsitzender der größten Regierungsfraktion unter Kanzler Helmut Kohl – jene Jahre markieren vielleicht die Zeit, in denen der gebürtige Freiburger dem Gipfel der Macht am nächsten war. Bundestagsabgeordneter war er schon seit 1972 gewesen, ein junger konservativer Finanzbeamter, der in seinem Wahlkreis Offenburg unbeschadet vom damaligen Willy-Wählen-Hype das Direktmandat gewann. Im Parlament hatte er den Aufstieg vom für Sport zuständigen Hinterbänkler zum Strippenzieher im Eiltempo bewältigt – und war 1984 von Kohl zum Chef des Kanzleramtes im Ministerrang ernannt und 1989 zum Innenminister befördert worden. Die Schäuble-Attribute aus jener Zeit – "Binnenkanzler" und "Architekt der Einheit" – zeugen von seiner schon damals herausragenden Rolle. Nun ist der Große, der nie ganz oben war, im Kreise seiner Familie gestorben.

Wolfgang Schäuble gemeinsam mit Kanzler Helmut Kohl 1997
Wolfgang Schäuble gemeinsam mit Kanzler Helmut Kohl 1997 
© Fritz Reiss
Wolfgang Schäuble gestorben: Niemand gehörte dem Parlament länger an als er

"Rhein-Zeitung" (Koblenz): Keine Macht-Taktik, keine Parteidisziplin, kein Schielen auf des Wählers flüchtige Gunst hätten Schäuble dazu bringen können, wider seine Überzeugung zu sprechen. Das brachte ihm Respekt, ja auch Bewunderung, geliebt haben ihn die Partei und das Volk aber nie – dazu war seine Aura zu kühl, zu intellektuell, zu schroff. Aber auch wenn der letzte Schritt zum Gipfel nicht gelang, die Republik wäre heute ohne Wolfgang Schäubles Wirken eine andere. Dafür gebühren ihm großer Respekt und aufrechter Dank. Mehr als das hätte Schäuble vermutlich auch als Gefühlsduselei zurückgewiesen.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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"Das mürrische Gesicht Deutschlands"

"Die Glocke" (Oelde): Rückschläge warfen Schäuble nicht aus der Bahn. Pflichtbewusst, diszipliniert und mit brillantem Intellekt wurde er im Bundestag zum vielfach gefragten Ratgeber, zum weisen älteren Staatsmann. Ein Mann mit Ecken und Kanten, der den notwendigen politischen Streit nie gemieden, dabei aber immer den Respekt vor dem politischen Gegner gewahrt hat. Mit Wolfgang Schäuble ist ein Politiker gegangen, der Vorbild sein und Orientierung geben konnte. In einer Zeit, in der beides so bitter nötig ist, wird er umso mehr fehlen.

"Corriere della Sera" (Mailand, Italien): "Wolfgang Schäuble war der Mann, der vielleicht mehr als jeder andere nach Helmut Kohl und Angela Merkel die letzten 40 Jahre deutscher und europäischer Geschichte im Guten wie im Schlechten geprägt hat. (...) Als Finanzminister wählte er die Rolle, die ihn damals in die Geschichte eingehen ließ: das mürrische Gesicht Deutschlands, die dunkle Seite der deutschen Stärke, der unnachgiebigste Interpret der Sparpolitik und der Einhaltung der Regeln der Eurozone, Theoretiker einer Gruppe von Volkswirtschaften, in der es keinen Platz für die ungezügelten Gewohnheiten der südeuropäischen Länder gab. (...)

Natürlich hatte Schäuble schon immer ein europäisches Herz. Für jemanden, der in Freiburg geboren wurde, als Junge Französisch gelernt hatte und umgeben vom Mythos Paris aufgewachsen war, konnte es nicht anders sein. (...) Doch er wird in Deutschland an zwei Entscheidungen gebunden bleiben, die die Grundlage für die Verzögerungen öffentlicher Investitionen sind und heute das Ländersystem und die Regierung Scholz in enorme Schwierigkeiten bringen. Die Schuldenbremse und die schwarze Null."

DPA
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