Die Große Koalition in Berlin hat Halbzeit. Wie steht die Oppositionspartei FDP da, Herr Kubicki?
Auf ganz dünnem Eis. Die FDP hat bisher davon profitiert, dass die Union ihre Wähler enttäuscht hat. Doch jetzt wandelt sich die Situation. Die Unionswähler haben sich mit der Koalition arrangiert. Die größten Gemeinheiten sind passiert. Jetzt bewegen sich die Zahlen der Liberalen nicht weiter nach oben.
Außer als Steuersenkungspartei wird die FDP kaum wahrgenommen. Woran liegt das?
Weil FDP-Prognosen zum Beispiel über einen massiven Konjunktureinbruch nicht wahr geworden sind. Es gab keinen Konjunktureinbruch, stattdessen einen dauerhaften Aufschwung. Die Menschen hören inzwischen immer weniger zu, wenn die FDP sich meldet.
Umso notwendiger wäre es, neue Themen zu besetzen.
Sie liegen ja auf der Straße. Die Bürgerrechtspartei FDP müsste sich ganz dringend um die innere Sicherheit kümmern. Wolfgang Schäuble liefert ja eine Vorlage nach der anderen. Wir machen nur nichts daraus. CDU und CSU treiben Raubbau mit den demokratischen Grundfreiheiten. Mehr als ein Flüstern der FDP dazu ist nicht zu hören. Wir schlummern auf Lorbeeren, die Liberale wie Gerhart Baum oder Burkhart Hirsch hier einmal errungen haben und nach wie vor erringen. Die beiden müssen regelmäßig vor dem Verfassungsgericht Regelungen angreifen, die bedauerlicherweise von der FDP teilweise mitgetragen werden. Die FDP in Nordrhein-Westfalen macht mit bei einer Form der Online-Durchsuchung, die abgelehnt werden muss.
Die FDP stellt dort den Innenminister.
Eben! Dadurch entsteht für die Gesamtpartei eine massive Glaubwürdigkeitslücke in Fragen des Rechtsstaates.
Zur Person
Der Volkswirt und Rechtsanwalt Wolfgang Kubicki, 55, ist Mitglied des FDP-Vorstands und Chef der FDP-Fraktion im Landtag von Schleswig-Holstein. Er gilt als ausgemachter Kritiker von Parteichef Guido Westerwelle.
Glauben Sie im Ernst, dass von einem FDP-Chef Westerwelle, der dies zugelassen hat, die Rückkehr zur Bürgerrechtspartei überhaupt gewünscht ist?
Ich bin sicher, er weiß, dass das Thema Steuersenkung allein nicht reicht, um die FDP interessant zu halten. Bei den Bürgerrechten ist die FDP immer noch authentischer als in allen anderen Feldern. Die FDP lässt sich nicht von heute auf morgen zu einer Partei mit sozialem Image ummodeln, denn da ist sie bisher am wenigsten authentisch.

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<Weshalb versuchen Sie es nicht einmal mit Umwelt- oder Bildungspolitik?>Bildung ist Ländersache, da kann man sich auf Bundesebene nur schwer profilieren. Bei der Umweltpolitik müssten wir allerdings endlich stärker Flagge zeigen. Da fehlt es uns nicht an Programmatik, das fehlt es uns an Sprachrohren.
Kleiner Test: Können Sie auf Anhieb sagen, wer auf Bundesebene für Umweltpolitik zuständig ist?
(Denkt länger nach, erkundigt sich per SMS) Wie Sie sehen, spontan ist es mir nicht möglich zu sagen, dass Birgit Homburger in der FDP-Führung und Horst Friedrich in der Fraktion zuständig sind. Dabei ist Birgit Homburger bereits seit mehreren Jahren in diesem Bereich tätig.
Von der inhaltlichen zur strategischen Position der FDP. Die Parteienlandschaft ändert sich dramatisch. Statt fünf Parteien wird es künftig mit der Die Linke sechs geben. Was bedeutet das 2009 für die FDP?
Die Linke wird bundesweit künftig neben CDU, CSU, SPD, FDP und Grünen verankert sein. Auch in westdeutschen Landesparlamenten. Sie wird für Wähler von SPD, Grünen, aber auch der Union zunehmend attraktiv werden. Über die Protestwähler wird sie zu einer starken parlamentarischen Kraft. Das heißt: Außer in der Großen Koalition werden Zweierbündnisse nur noch ausnahmsweise möglich, wenn nicht ganz unmöglich. Für die FDP bedeutet das: Wir müssen das Starren auf nur eine Partei aufgeben. Wir müssen auch Dreier-Bündnisse diskutieren. Oder wir werden nirgendwo mehr mitregieren.
Ihr Parteichef Westerwelle tut genau das Gegenteil. Er lässt als Partner nur die CDU/CSU gelten und grenzt sich zugleich von den Grünen ab.
Wenn dem tatsächlich so wäre, würde ich das für grundsätzlich falsch halten.
Gesagt hat er es.
Ich hoffe, dass er das so nicht gemeint hat. Lieber wären mir auch Zweier-Konstellationen. Aber wenn sie nicht erreichbar sind, sind mir Dreier-Bündnisse unter Beteiligung der FDP sehr viel lieber als das Verharren auf der Oppositionsbank.
Wie nahe sind Sie den bei den Grünen?
Wir sind nicht nahe bei den Grünen. Aber es gibt Politikfelder, bei denen die Grünen von uns nicht so weit weg sind. Etwa bei den Bürgerrechten decken sich viele Positionen von FDP und Grünen. Wo es darum geht, staatliche Macht zu begrenzen, sind die Grünen uns viel näher als Union oder SPD. Auch in Bereichen der Umweltpolitik gibt es Schnittmengen, die auszuloten sich lohnt.
Bei der Kernenergie gibt es null Schnittmenge.
Da ist die FDP selbst zwiespältig. Es gibt eine kleine Mehrheit der weitern Nutzung der Kernenergie unter dem Aspekt der Vermeidung von CO2-Ausstoß. Für viele in der FDP, in Schleswig-Holstein sogar eine Mehrheit, war die Kernenergie immer eine Übergangsenergie. Jetzt gibt es ein Ausstiegsszenario und daran sollte man sich auch halten.
Schlüge Ihr Herz freudiger bei einer Jamaika-Koalition mit der CDU oder einer Ampel mit der SPD?
Für die FDP und ihre Wähler wäre zurzeit die Koalition mit Grünen und CDU die leichtere Variante. Beim Blick auf die Gestaltungskraft einer Koalition würde ich auch eine Ampel mit Grün und SPD für eine denkbare Konstellation halten. Allerdings könnte sich dabei die Erosion der SPD in Richtung Linkspartei fortsetzen. Aber diese Überlegungen sind für mich der falsche Ansatz.
Was wäre denn der richtige?
FDP und Grüne sollten sich zusammenraufen und gemeinsam sagen: Wen nehmen wir als Koalitionspartner? Union oder SPD? Ohne uns läuft doch außerhalb einer Großen Koalition nichts. Gemeinsam wären wir stark, nicht fünfte Rädchen am Wagen. Die Hälfte der Minister könnten FDP und Grüne stellen.
Was geschieht in Ihrer Partei, wenn die FDP 2009 nicht wieder an die Regierung kommt? Wird das gefährlich für Westerwelle?
Es würde gefährlich werden für die Führungsspitze insgesamt, denn sie trüge dafür die Verantwortung. Das ist keine singuläre Frage an Guido Westerwelle. Aber er weiß, dass auch seine Position davon berührt wird, dass die FDP wieder Regierungsverantwortung trägt.
Die Erosion der beiden Volksparteien ist bereits länger zu Gange. Weshalb profitiert die FDP nicht davon?
Mehr als knapp oberhalb der Zehn-Prozent-Marke ist für uns derzeit nicht erreichbar. Dann muss man sich fragen: Welche Themen bewegen die Bevölkerung und was hat die FDP da zu bieten? Ein Beispiel: Die Haltung der FDP zu den Auslandseinsätzen der Bundeswehr ist sehr zwiespältig. Viele lehnen sie ab. Nach außen aber wird das nicht klar, wir positionieren uns nicht eindeutig. So gewinnt man kein Profil und keine Wähler.
Wo stehen Sie denn in der Frage des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan?
Rückzug! Morgen! Es gibt keine sinnvolle Erklärung dafür, dass deutsche Soldaten und Polizisten in Afghanistan Dienst tun. Die Realität widerlegt doch die Behauptung, wir würden dort zur demokratischen Entwicklung beitragen. Wir sichern dort die Herrschaft von Warlords und Heroin-Fürsten, die den größten Heroin-Anbau aller Zeiten betreiben. Das ist an Absurdität nicht zu überbieten. Wir tragen mit Steuer-Milliarden dazu bei, dass Europa mit Heroin überschwemmt wird.