Zwischenruf Das Kalkül des Bruchs

Geht es beim Streit um die Terrorabwehr gar nicht mehr um innere Sicherheit, sondern um das Ende der Großen Koalition? Die Union könnte sich von Neuwahlen im kommenden Jahr entscheidende Vorteile versprechen.

Warum tun die das? Warum gibt Wolfgang Schäuble keine Ruhe? Warum springt ihm plötzlich Franz Josef Jung zur Seite? Und warum ist von Angela Merkel kein Machtwort zu hören, um der Beschwörung immer monströserer Terrorgefahren ein Ende zu setzen? Bloß, damit die Union die alleinige Herrschaft über das Thema innere Sicherheit zurückgewinnt und Otto Schily vergessen macht? Oder geht es um viel mehr? Um alles. Um die planmäßige Schaffung einer Sollbruchstelle für die Große Koalition. Einer Situation, in der Worte und Widerworte am Ende so verworren sind, das Bündnis dem Publikum so heillos zerstritten erscheint, dass sich Schuld und Unschuld gar nicht mehr unterscheiden lassen und nur ein einziges Bild bleibt: Die können einfach nicht mehr miteinander. Und vorgezogene Neuwahlen 2008 keine Zumutung mehr wären, sondern eine Befreiung, Ende eines Albdrucks. Statt schierer Würgerei. Kurt Beck hat sich diese Frage gestellt. Aber er hat sie verneint. Auch weil die Kanzlerin in der Krise der Großen Koalition von Schleswig-Holstein beruhigend wirkte. Beck nahm den Kieler SPD-Innenminister Ralf Stegner aus dem Kabinett und beugte sich damit dem Willen der CDU. Angela Merkel wiederum telefonierte mit Ministerpräsident Peter Harry Carstensen, um das Scheitern der Koalition abzuwenden - und Neuwahlen, von denen sich die CDU einen strahlenden Sieg erhoffen könnte. Ein Beweis ist der Kieler Fall indes nicht. Im Gegenteil: Er belegt, wie weit sich die SPD demütigen lässt, wie schwach sie sich momentan fühlt. Eine selbstbewusste Partei hätte sich ein solches Diktat nicht bieten lassen: den eigenen Spitzenmann zu kippen, bloß weil es der zum Gegner gewordene Partner so will. Umgekehrt zeugen Merkels mäßigende Telefonate mit Carstensen eigentlich nur davon, dass ihr ein derart symbolhafter Koalitionsbruch ungelegen käme. Zu früh. Zu riskant für Berlin.

Die Idee ist in den Köpfen, das darf als sicher gelten. Aber die Umfragewerte sind noch zu labil. Zwar liegt die Union so günstig wie noch nie seit Beginn der Großen Koalition - zwei Wochen lang kam sie auf 40 Prozent, aktuell auf 39 -, die SPD ist in keinem anderen Bündnis mehrheitsfähig. Aber Schwarz- Gelb hätte nur eine hauchdünne rechnerische Mehrheit von 48 Prozent vor der vereinigten Opposition mit 47. Solch prekärer Vorsprung ermutigt nicht zu Abenteuern. Schwarz- Grün käme auf 49 Prozent, eine Jamaika-Koalition von Union, Liberalen und Grünen auf komfortable 58 - aber wie berechenbar und bündnisfähig wären die Grünen heute, nach dem Aufstand der Linken gegen die eigene Führung auf dem Göttinger Afghanistan-Parteitag?

DiE SPD ist heute in keinem anderen Bündnis mehrheitsfähig. Eine Sollbruchstelle, systematisch als Option vorbereitet, ergibt auf Sicht für die Union Sinn

Eine Sollbruchstelle für die Grosse Koalition, systematisch als Option vorbereitet, ergibt auf Sicht hingegen Sinn. Für den Fall, dass günstigere Umfragedaten das Risiko beherrschbar erscheinen lassen. Denn das verspräche eine Reihe von Vorteilen für die Union: Würde schon Anfang nächsten Jahres neu gewählt, wäre die SPD wohl gezwungen, Kurt Beck zum Kanzlerkandidaten auszurufen. Der aber steckt tief im Keller des öffentlichen Ansehens: Nur 17 Prozent der Deutschen würden ihn heute direkt zum Kanzler wählen, 58 dagegen Angela Merkel. Die Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg Anfang nächsten Jahres, bei denen die CDU deutliche Verluste gegenüber den letzten Wahlen zu gewärtigen hat, würden von der bundespolitischen Frontstellung überlagert - mit klaren Vorteilen vermutlich für die Kanzlerinnen-Partei. CDU und SPD würden dabei in vertauschten Rollen auftreten, mit dem politischen Gencode des Gegners quasi. Die Union mit sozialdemokratischen, kuschelweichen Themen: Klimaschutz, Kinderbetreuung, Menschenrechte, Ausländerintegration, Dialog mit den Muslimen.

Dazu für die Konservativen: Sicherheit gegen Terror. Während die Sozialdemokraten für christdemokratisch gefärbte, kratzige Projekte zu haften hätten: Gesundheitsreform, Rente mit 67, Unternehmensteuersenkung und Bahnprivatisierung. Einzige Beigabe für die Linke: Mindestlöhne. Das zu einer mitreißenden Mission zu bündeln ist der SPD bis heute nicht gelungen. Die Lage kann für die SPD eigentlich nur besser, für die Union hingegen schlechter werden. Vor allem dann, wenn die dramatische Finanzkrise die Konjunktur zertrümmern und in eine Rezession münden sollte - ein Desaster womöglich für CDU und CSU. Dieser Gefahr vorzubeugen und rasch zu handeln, bevor die Arbeitslosenzahlen wieder wachsen, könnte mithin zum entscheidenden Motiv werden. Wolfgang Schäuble erschiene dann in ganz anderem Licht - nicht mehr als Störenfried, sondern als strategischer Kopf. Seine Aufgabe: Demütigung der SPD, Provokation des Bruchs.

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Hans-Ulrich Jörges