Das Jahr 2007 war das Jahr der SPD-Krise. Gut möglich, dass 2008 das Jahr einer CDU-Krise wird. Denn die Neupositionierung der Sozialdemokraten auf der Linken lässt die inneren Widersprüche der Union aufplatzen wie Kirschen im Hagel. Sie legt die Versäumnisse der CDU in der Großen Koalition frei. Sie wirft die Frage auf, mit welchem Profil die Christdemokraten die 22 Wahlen der nächsten beiden Jahre bestehen wollen. Und sie zieht die bislang fast unbeteiligt über allem schwebende Kanzlerin von den lichten Höhen ihrer Rettet-die-Erde-Mission herab in die neblig-schmutzigen Niederungen der Innenpolitik. Nun muss sich Miss World als Miss Germany beweisen. Das macht Kurt Becks strategische Wende zum genialen Manöver. Genau so hat er es gewollt. Helmut Kohl warnt in den eigenen Reihen schon seit Langem davor, den Pfälzer zu unterschätzen. Nun hat auch die Kanzlerin seine Gefährlichkeit erkannt. Beck ruht in sich selbst - und hat alle anderen zum Tanzen gebracht. Die Linke ist hin- und hergeworfen zwischen Koalitionssehnsucht und Abgrenzungspolemik.
Die Grünen springen fast panisch nach links. Und in der Union regiert das Chaos. Nicht mit mir, sagt Angela Merkel zum Tempolimit 130. Wir sind aufgeschlossen, meint der schwarz-grüne Hamburg-Wahlkämpfer Ole von Beust. Die Verlängerung des Arbeitslosengeldes für Ältere sei ein "verheerendes Signal", protestiert CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer. Bitte rasch beschließen, drängen die Wahlkämpfer Roland Koch (Hessen) und Christian Wulff (Niedersachsen). Eine private Zusatzversicherung für Arbeitslosigkeit im Alter schlägt Wirtschaftsminister Michael Glos vor. Angela Merkel rät, im bestehenden System zu bleiben. Den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung auf drei Prozent senken will der Mittelständler Michael Fuchs. Nur bis 3,5 Prozent gehen will die Kanzlerin. Herauf mit dem Schonvermögen von Hartz-IV-Empfängern, fordert Jürgen Rüttgers. "Es dürfen nicht alle Schleusen geöffnet werden", bockt Fraktionschef Volker Kauder. Die Erbschaftssteuer abschaffen, verlangen die Länder-Finanzpolitiker. Kommt nicht infrage, wehrt Verhandlungsführer Roland Koch ab.
Dahinter grinst die Frage: Was ist eigentlich CDU? Um welche Positionen sollen sich unsere Wähler scharen? Womit locken wir auf den Marktplätzen? Bislang hat sich die SPD mit solchen Profilfragen gequält. Nun wird der Vorhang bei der CDU weggerissen. Zu besichtigen sind ein kopfloser Wirtschaftsflügel ohne Einfluss und Erfolg und verzweifelte Konservative, die nicht wissen, was sie ihrer Klientel bieten sollen außer Wolfgang Schäubles Kreuzzug gegen den Terror. Merkel hat die CDU rasant modernisiert, aber nur im großstädtischen Milieu gepunktet - mit Themen, die einst als unionsfremd galten: Klima, Menschenrechte, Kinderbetreuung. Sie ist dabei so weit auf neues Territorium vorausgeeilt, dass die ideologische Nachhut verloren ging. Sie hat bewiesen, dass sie regieren kann, hat jenes Vertrauen gewonnen, das ihr bei dem desaströs knappen Wahlerfolg 2005 fehlte. Aber sie hat sich nur in der Außenpolitik bewiesen, als Reformerin hat sie spektakulär abgedankt. Der "Newsweek"-Titel, der sie jüngst als "Verlorene Führerin" präsentierte und mit konservativen Kronzeugen aus Deutschland operierte, war ein gezieltes Protestsignal der eigenen Klientel.
Merkel hat ihre ideologische Nachhut verloren. Sie sitzt in der Falle: Antwortet sie mit kühnen Reformprojekten, läuft sie Beck ins Messer.
Kein einziges gelungenes Reformstück nach CDUDesign kann die Kanzlerin vorweisen - alles sozialdemokratisch belegt, selbst die Unternehmenssteuerreform. Weil sie eigene Vorgaben scheute. Die Gesundheitsreform gilt als gründlich misslungen. Die Beiträge zur Kranken-, Rentenund Pflegeversicherung steigen, Kapitaldeckung bei der Pflege wurde nicht eingeführt. Merkel hat nicht mal erkennbar dafür gekämpft. Für nichts hat sie gekämpft. Nun will sie einer weiteren Abkehr von Reformen widerstehen. Aber sie sitzt in der Falle: Antwortet sie der SPD mit kühnen Reformprojekten nach Art des Leipziger Parteitags - Kopfprämie, radikale Steuerreform -, läuft sie Beck ins Messer. Das wird sie nicht tun. Also setzt sie darauf, dass sich das bürgerliche Lager schon selbst organisiert gegen die Offensive der Linken. Aber dabei ist sie abhängig von einer anhaltend guten wirtschaftlichen Lage. Das kann schiefgehen. In Wahrheit zieht sich das Merkel-Lager schon in eine Auffangstellung zurück: Der SPD traut man einen Wiederaufstieg bis etwa 33 Prozent zu, der Union aber immer noch mindestens 37. Das soll reichen, um wenigstens eines zu verteidigen: Merkels Kanzlerschaft. Anderen wird das zu wenig sein - und zu riskant. Verliert die CDU Anfang 2008 in Hessen und Niedersachsen Stimmen, wird wohl offen darüber gestritten werden. Dann hätte die Union ihre Krise.