Zwischenruf Steinbrück regiert Berlin

Der Düsseldorfer Ministerpräsident ist fertig mit Rot-Grün. Aber warum sollte er die FDP wählen? Mit der CDU könnte er auch den Wechsel im Bund einleiten. Aus stern Nr. 24/2003

Vergessen Sie ruhig mal die Berliner Aufgeregtheiten und schauen Sie nach Düsseldorf. Dort, nicht in der Hauptstadt, wird sich entscheiden, präziser gesagt: vorentscheiden, ob und wie die Karten in der deutschen Politik neu gemischt werden. Und vergessen Sie getrost auch alles, was Sie bisher über die rot-grüne Koalitionskrise an Rhein und Ruhr und den angeblich einzig vorgezeichneten Ausweg gelesen haben. Bitte folgen Sie mir bei einigen spannenden Überlegungen.

Zunächst mal wollen wir ein paar Pflöcke einschlagen, von denen aus wir dann die Fäden politischer Logik spannen. Unterstellen wir erstens, dass das Bündnis zwischen Sozialdemokraten und Grünen im bevölkerungsreichsten Bundesland nicht zu retten ist - substanziell ausgezehrt und bis zu offenem Hass in der Düsseldorfer SPD-Fraktion emotional ausgebrannt. Unterstellen wir zweitens, dass Peer Steinbrück, der bis zum Bersten genervte Ministerpräsident, entschlossen ist, mit komfortabler Frist vor den Kommunalwahlen im Herbst 2004 und der Landtagswahl im Frühjahr 2005 eine frische Koalition zu installieren - gleichgültig, wie die Grünen sich nun winden und beugen mögen; eine Koalition, die seiner erschöpften SPD wieder die politische Initiative zurückgibt und den Menschen Vertrauen in seine Führung vermittelt.

Keineswegs der Amok laufende norddeutsche Dösbaddel

Und unterstellen wir drittens, dass dieser Peer Steinbrück die Bündnisfrage zwar aus Berliner SPD-Perspektive zur Unzeit stellt, dass er aber keineswegs der Amok laufende norddeutsche Dösbaddel ist, als der er gelegentlich dargestellt wird, sondern in der Gesamtschau des politischen Personals der Republik ein außergewöhnlich kreativer, beweglicher, direkter, rhetorisch beeindruckender und seine Interessen klug kalkulierender Mann.

So, und nun sind wir am Punkt. Warum sollte dieser Peer Steinbrück, wie Krethi und Plethi annehmen, automatisch die Grünen gegen die FDP eintauschen? Bloß weil ihm die Mandatsverteilung im Landtag diesen scheinbar unkomplizierten Partnerwechsel aufdrängt - und sich die Liberalen quiekend nach vorn drängen, um die hungrigen Rüssel in den Futtertrog der Macht zu stecken?

Steinbrück hat die Wahl: siegen wie Scherf oder verlieren wie Gabriel

Sozialliberal? Dieses Modell läge nicht etwa machtvoll im Strom der Zeit, sondern triebe hilflos an seinem Rand. Es hätte weder Faszination noch Signalwirkung - bliebe Düsseldorfer Papierschiffchen, statt Panzerkreuzer an der Spitze einer Flotte zu werden. Und wäre zudem von Schwachen gebaut - der auf heute nur noch 37 Prozent abgemagerten SPD und der bei sechs Prozent dümpelnden FDP. Einer FDP, die an der SPD-Basis so hoffnungslos verrufen ist wie die Grünen in der Düsseldorfer SPD-Fraktion, entkräftet und desorientiert durch den skandalumtobten Abgang Jürgen Möllemanns. Sie wäre zum Nulltarif zu haben - aber welche produktive Reibungsenergie, welche Strahlkraft könnte ein Nulltarif-Bündnis entfalten? Eine einzige Hoffnung spräche dafür: der CDU den Partner bei der Landtagswahl 2005 zu klauen. Denn Schwarz-Grün ist vorerst nicht mehr als ein flackerndes Licht.

Collage mit Porträts von Merz, Klingbeil, Söder und Reiche

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Luxuriöse Handschellen angelegt

Peer Steinbrück hat denn auch jedes Zwinkern in Richtung FDP vermieden. Der Mann, der mit dem hessischen CDU-Regenten Roland Koch schon ein spektakuläres Steuerding gedreht hat und mit ihm nun in innigem Verständnis Subventionen mähen will, hat eine viel reizvollere Alternative zu prüfen: eine große Koalition mit CDU-Chef Jürgen Rüttgers. Sie schwömme nicht nur ganz vorn im Strom der Zeit, sondern hätte zudem handfeste Vorteile für Steinbrück wie Rüttgers. Der Amtsinhaber hätte dem Herausforderer luxuriöse Handschellen angelegt - und beste Aussichten, ihn bei der Wahl 2005 klein zu halten.

Denn wie wollte Rüttgers seinen Partner frontal angreifen? Steinbrück steht vor der Wahl, wie Sigmar Gabriel in Hannover kleinkoalitionär unterzugehen oder wie Henning Scherf in Bremen großkoalitionär zu siegen. Rüttgers wiederum hätte seine CDU nach 36 erschöpfenden Oppositionsjahren endlich zur Macht geführt - und könnte Friedrich Merz, seinen Rivalen im Ringen um den Landesvorsitz, auf Distanz halten. Beide gemeinsam hätten die Chance, bei fast 100 Milliarden Euro Landesschulden, die Blaupause einer großen, neues Denken wagenden Sanierungskoalition auch für Berlin zu zeichnen.

Ach ja, und eines sollten Sie bei allem, was nun folgen mag, stets mitdenken: Gehen Sie davon aus, dass Steinbrück in voller Eintracht mit seinem Vorgänger Wolfgang Clement handelt. Auch der ist ein Großkoalitionär in Wartestellung.

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Hans-Ulrich Jörges