Zwischenruf Tumult im Tümpel

Mit seinem Gesundheitsreform-Modell im stern hat Volker Kauder gewaltiges Echo ausgelöst. Der Lärm täuscht: Die Mächtigen in der Koalition denken wie er. Aus stern Nr. 17/2006

Wer einen Stein in den Tümpel wirft, darf sich nicht wundern, wenn die Frösche hüpfen. Volker Kauder hat einen großen Stein, per stern-Interview, in einen besonders morastigen Tümpel, das deutsche Gesundheitssystem, geworfen, in dem so viele Frösche leben wie in keinem anderen - Lobbyisten, Ideologen, Parteitaktiker. Also begann ein besonders wildes Hüpfen und danach ein ohrenbetäubendes Quaken, das bis heute anhält, kaum hatte Kauder vor Ostern seinen Stein in dieses trübe Gewässer geschleudert. Die Empörung der Frösche über den Störenfried war so mächtig, dass der Eindruck entstehen konnte, er sei allgemeiner Verachtung preisgegeben - und sein Stein im Schlamm versunken. Das zu glauben, sich vom wilden Hüpfen, Spritzen und Quaken verwirren zu lassen, wäre indes ganz verkehrt.

Denn wer genauer hinschaute und hinhörte, der konnte höchst aufschlussreiche Beobachtungen machen: Welcher Frosch nicht mithüpfte, welcher gar nicht oder anders quakte als die übrigen - und welcher opportunistisch lärmte, bloß um nicht aufzufallen in der großen Schar der Hüpfenden und Quakenden. Und wer diese Beobachtungen gänzlich unbeeindruckt resümiert, der stellt fest, dass jenes Reformmodell, das der Fraktionschef der CDU/CSU so mutig zwischen die Frösche warf, keineswegs kollektiver Ablehnung zum Opfer gefallen ist. Es hat die Frösche geteilt. Es hat nicht alle zu Gegnern, sondern die Großen und Starken zu Verbündeten gemacht. Es hat überlebt. Ja, es lebt!

Gewiss, die Herrscher des Tümpels, Angela Merkel und Franz Müntefering, waren not amused, um es freundlich auszudrücken, als sie lasen, was Kauder offenbarte. Der hatte zwar in der Koalitionsrunde angekündigt, dass er sich in einem Interview vor Ostern vorwagen werde, aber sie hatten nicht damit gerechnet, dass er alles ohne taktische Mätzchen und verschleiernde Manöver offen legen, im großen Zusammenhang ausbreiten würde, woran sie dachten. Also quakten sie ihren Zorn unter die Frösche, aber sie hüpften nicht. Weder Merkel noch Müntefering verwarfen das Modell in seinen Grundzügen: ein Gesundheitsfonds, der (reduzierte) Beiträge und (neue) Steuern sammelt, um sie ziemlich einheitlich an alle Kassen zu verteilen - und die damit zum Wettbewerb zu nötigen. Es gebe noch keine Vereinbarungen, ließ die Kanzlerin verbreiten. Ihm sei "relativ egal", was Kauder vorgelegt habe, war Müntefering zu vernehmen. Dementis waren das nicht - eher das Gegenteil.

Peter Struck, Kauders großkoalitionärer Freund, sprang ihm freundlich zur Seite ("Wir reden über alles"), und Ulla Schmidt, die Gesundheitsministerin, begrüßte die Vorlage gar mit allen Anzeichen von Beglückung. Kurt Beck, als designierter SPD-Chef zur Selbstprofilierung gezwungen, reagierte, sozusagen im Affekt, anfangs hart - wurde dann aber schnell weich: Kauder denke "lösungsorientiert", und wenn "Einkünfte aus Mieten und Zinsen" in die Steuerfinanzierung einbezogen würden, lasse sich darüber reden. Das aber ist Kern der Kauder-Vorschläge. Auch Becks Mainzer Sozialministerin formulierte eine Bedingung, die Kauder im stern-Interview längst erfüllt hatte: dass der Fonds nämlich neben der einheitlichen Prämie einen Ausgleich etwa für Ältere und chronisch Kranke an die Kassen zahlen müsse. Genau deshalb hatte Kauder die Prämie nicht auf pauschal 150, sondern auf 150 bis 170 Euro beziffert. Die großen, die maßgeblichen Frösche sprangen also gar nicht empört, sie taten höchstens so. Aus gutem Grund: Am Tag bevor Kauder das Interview gab, hatte schon Hubertus Heil, der SPD-Generalsekretär, das Fondsmodell vertraulich vor Berliner Journalisten enthüllt. Das wiederum ermutigte Kauder, Tacheles zu reden, um die öffentliche Reaktion zu testen.

Merkel und Müntefering waren not amused, als sie lasen, was Kauder offenbarte. Aber Dementis kamen nicht von ihnen

Die wichtigste Beobachtung beim Tumult im Tümpel aber war: Niemand präsentierte einen grundsätzlich anderen Reformvorschlag. Der Rest war Gequake. Ideologisch inspiriert, bei Gewerkschaftern und SPD-Linken, gegen jede "Kopfpauschale" - obgleich die im Unterschied zum Ausgangsmodell der Union nicht mehr von allen einheitlich erhoben, sondern nur am Ende an die Kassen ausgeschüttet werden soll. Oder interessengelenkt, von Krankenkassen, gegen ein "neosozialistisches Modell" der Bürokratisierung - obgleich die Kassen doch gerade in den Wettbewerb gezwungen werden sollen und ihre eigene Bürokratie zum Einziehen der Beiträge durch den Fonds überflüssig würde.

Kauder braucht starke Nerven - doch am Ende kann er Sieger sein. Auch in persönlicher Hinsicht. Zum ersten Mal hat er ein politisches Kernthema zu seinem eigenen gemacht. Zum ersten Mal hat er sich neben seiner Kanzlerin in Position gebracht. Das erfordert Härte. Behält er die, hat er den schmerzhaften Initiationsritus zum Politiker von eigenem Gewicht durchlaufen. Dann ist er nicht mehr Merkels Helferlein.

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Hans-Ulrich Jörges