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Kauder-Abwahl "Das Ende von Angela Merkels großer Karriere ist nah"

Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät zunehmend unter Druck
Folgt nun bald ihr Abgang? Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät zunehmend unter Druck
© Michael Kappeler / DPA
Ist die Abwahl von Volker Kauder der Anfang vom Ende der Ära Merkel? So kommentiert die Presse die überraschende Wahl von Ralph Brinkhaus zum Fraktionsvorsitzenden der Union.

Die Unionsabgeordneten im Bundestag haben die Autorität von Bundeskanzlerin Angela Merkel schwer erschüttert: Bei der Wahl des Fraktionschefs stimmten sie am Dienstag gegen den von der CDU-Vorsitzenden unterstützten Amtsinhaber Volker Kauder und für Herausforderer Ralph Brinkhaus (beide CDU). Das Ergebnis sei eine Niederlage für sie, räumte eine sichtlich mitgenommene Merkel ein. Daran sei "nichts zu beschönigen". Brinkhaus erhielt mit 52,7 Prozent der Stimmen überraschend die knappe Mehrheit. So kommentiert die Presse die Niederlage von Kauder und Merkel.

"Frankfurter Allgemeine": "Allein die Tatsache, dass es dieses Mal nach langer Zeit anders kam, spricht dafür, dass Merkel und Kauder die Dinge nicht mehr so in der Hand hatten wie noch in den vergangenen Wahlperioden. (...) Lässt sich das mit Erschöpfung erklären? Merkel macht, insbesondere gegenüber Seehofer, nicht den Eindruck. Wohl aber gibt es das Phänomen, dass die Autorität zwangsläufig sinkt, wenn erst einmal das Ende einer Amtszeit in Sicht ist. Bei Merkel kündigte sich das (...) vor der Bundestagswahl an, danach erst recht, als Kramp-Karrenbauer zur Quasi-Parteivorsitzenden nach Berlin geholt wurde. In Amerika nennt man das Phänomen 'lame duck'. Mit der Niederlage Merkels in der Fraktion beginnt nun, ob Brinkhaus es beabsichtigt hat oder nicht, die Debatte darüber, wie lange die Lähmung noch dauern soll."

"Tagesspiegel": "Dass Merkel die Abwahl ihres Kandidaten an der Spitze der Fraktion zum Anlass nimmt, aus dem Amt zu scheiden: Das entspräche ihrem Charakter nicht. (...) Sie wird zu Ende bringen wollen, zumindest in Teilen, was ihr wichtig ist. (...) Aber das Verhältnis der Kanzlerin zur CDU wird sich ändern. (...) Über die Trennung von Amt und Parteivorsitz wird seit Monaten hinter vorgehaltener Hand diskutiert. Und was heißt das für uns, die großkoalitionär Regierten? Auf jeden Fall nicht, was uns Merkel, Seehofer und Nahles versprochen haben: ruhige und ergebnisorientierte Sacharbeit zur Lösung unserer Probleme. Eine angeschlagene SPD-Vorsitzende, ein waidwunder CSU-Chef und nun auch noch eine geschwächte Kanzlerin. Auch wenn Merkel es noch so sehr bedauert: Die Koalition wird sich weiter mit sich selbst beschäftigen."

"Süddeutsche Zeitung": "Brinkhaus' Sieg könnte eine schwer kalkulierbare Dynamik in Gang setzen. Merkel wird mit ihm nicht einfach weiter regieren können, als sei nichts geschehen, auch wenn sie vermutlich nun die Eigenständigkeit der Fraktion betonen wird. Aber diese Entscheidung war viel zu sehr auch eine Entscheidung gegen sie. (...) Merkel wird nicht zurücktreten. Aber sie muss überlegen, ob sie der Fraktion oder dem Bundestag insgesamt die Vertrauensfrage stellt. Seit diesem Dienstag kann die Kanzlerin sich des Rückhalts der eigenen Leute nicht mehr sicher sein. Das ist zu wenig, um kraftvoll zu regieren, wie sie es sich nur einen Tag zuvor selbst noch einmal vorgenommen hat."

"Das Ende von Angela Merkels großer Karriere ist nah"

"Rheinische Post": "Angela Merkel hat nicht mehr viel Zeit, wenn  sie ihren Traum noch verwirklichen will. Sie wollte immer  selbstbestimmt aus der Politik aussteigen, nicht davongejagt, nicht  abgewählt werden. Das droht ihr gerade aus den Händen zu gleiten. So wie es allen ihren Vorgängern im Kanzleramt ergangen ist, die am Ende doch an der Macht festhielten, obwohl sie schon erodierte. (...) Nun hat sie verloren. An Vertrauen, an Einfluss. Es  ist für sie jetzt extrem schwer, einen Ausweg zu finden. Den  CDU-Vorsitz könnte sie beim Parteitag im Dezember abgeben. Aber ein Wechsel im Kanzleramt geht nur mit Einverständnis der SPD, die sich  damit weiter marginalisieren würde. Vielleicht bleibt sie nicht  CDU-Vorsitzende, aber Kanzlerin. Für eine Zeit. Doch klar ist: Das Ende ihrer großen Karriere ist nah. So oder so."

"Frankfurter Rundschau": "In der Mehrheit für Brinkhaus dürften sich nicht nur jene wiederfinden, die das Land noch radikaler gegen Flüchtlinge abschotten, noch weniger europäische Solidarität, noch weniger Reformbereitschaft wollen. Auch ein Überdruss, der mit inhaltlichen Fragen wenig zu tun hat, drückt sich in diesem Ergebnis aus. Merkel weiß jetzt endgültig, dass sie eine Kanzlerin auf Abruf ist. Und vielleicht ist es schon zu spät, um darauf zu reagieren - nicht nur für sie. Vielleicht zeigt sich auch bald, was für ein großer Fehler es von SPD, Grünen und Linken war, dem Merkelismus keine mehrheitsfähige Alternative entgegenzusetzen. Wenn es schlecht läuft, geht mit der Ära Merkel auch die Chance auf diese Alternative verloren. Und der Weg nach rechts ist endgültig geebnet."

"Stuttgarter Zeitung": "Kauder ist nicht das eigentlich Ziel dieser Protestwahl. Die Bundeskanzlerin und der CSU-Chef hatten in der Sitzung vehement für die Wiederwahl Kauders plädiert. Dass die Mehrheit eine andere Entscheidung traf, macht deutlich: Abgestraft wurde Kauder, gemeint sind Angela Merkel und Horst Seehofer. Die Fraktion hat ihren Spitzen in der Regierung offen das Misstrauen ausgesprochen. Die Kanzlerschaft hat kein Fundament mehr."

"Handelsblatt": "Selten haben sich Angela Merkel und Horst Seehofer so einmütig gezeigt. Am Dienstagnachmittag warben die Kanzlerin und der Innenminister vor den Bundestagsabgeordneten von CDU und CSU dafür, Volker Kauder wieder zum Chef der Unionsfraktion zu wählen. Das ging daneben. Die Wahl von Ralph Brinkhaus ist auch eine Abrechnung mit der Großen Koalition, mit Merkel wie mit Seehofer. Der Überraschungssieg von Brinkhaus liegt auch am Zeitpunkt der Wahl: Die quälende Debatte um die Abberufung von Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen hat den Geduldsfaden bei vielen in der Unionsfraktion zu stark strapaziert. Das Auflehnen der Fraktion gegen Merkels Wunschkandidaten ist ein sichtbares Zeichen der erodierenden Macht der Kanzlerin. Kauder stand zuletzt für nicht mehr viel, außer der Kanzlerin ihre Mehrheiten zu sichern."

"Kauder - das Bauernopfer des Systems Merkel"

"Schwäbische Zeitung": "Für Unionsverhältnisse ist das ein Hauch von Revolution. Die Fraktion stürzt ihren Chef gegen Merkels ausdrücklichen Willen - und fügt damit der Kanzlerin eine schwere Niederlage zu. Wie groß ist Merkels Rückhalt noch? Für diese Frage war die Wahl aussagekräftiger als für die Frage, wie angesehen Volker Kauder ist. Kauder hat der Kanzlerin lange gedient, manche meinen, mitunter zu treu. Für Volker Kauder und Angela Merkel ist das Ergebnis bitter. Es ist auf jeden Fall Merkels letzte Legislaturperiode, und es sieht nicht so aus, dass sie diese zu Ende bringen wird. Das liegt auch an der Kanzlerin selbst, die das Gespür dafür verloren hat, wie ihre Politik ankommt. Die Kanzlerin wird in der nächsten Zeit noch einsamer werden. Die Hürden für eine Vertrauensfrage sind hoch. Doch Merkel kann nicht nur, sie muss daran zweifeln, dass sie noch den Rückhalt ihrer Fraktion hat."

"Die Presse": "Schon im Asylstreit, als CSU-Chef Seehofer vor der Sommerpause eine Koalitionskrise provozierte, rumorte es auch in der CDU. Jetzt reichte nicht einmal Merkels Eingeständnis, die Causa Maaßen falsch eingeschätzt zu haben, den Unmut zu übertünchen und einzudämmen. Darum manifestiert sich im Votum gegen Kauder - einem Bauernopfer des Systems Merkel - auch ein Misstrauensvotum gegen die Kanzlerin. Es ist ein Zeichen des Autoritätsverlusts und ein Warnsignal für Merkel, ihren Abgang vorzubereiten und rechtzeitig die Nachfolge zu bestellen. Merkel amtiert immerhin selbst so lange als Kanzlerin wie Kauder als Fraktionschef. Die junge CDU-Garde aus Nordrhein-Westfalen um Gesundheitsminister Spahn macht sich bereits daran, um Merkels Erbe zu kämpfen. Keine drei Wochen vor der Bayernwahl stecken alle drei Koalitionspartner in Berlin in einer massiven Krise."

"Nürnberger Nachrichten": "Bleibt der Erfolg aus, dann kann die Union gnadenlos sein. Angela Merkel hat versucht, mit ihrer spektakulären Entschuldigung im Fall Maaßen ihre Gegner zu besänftigen. Diese für sie so seltene Geste hat ihr nichts geholfen, zumal ihre Ohnmacht, auch ihre Abgehobenheit so noch sichtbarer wurde. Es sind schon sehr viele verfrühte Abgesänge auf Merkel geschrieben worden. Angesichts des Aufstands der Union wird es nun aber wirklich eng für eine Kanzlerin, die es vielleicht selbst versäumt hat, zur rechten Zeit zu gehen und diesen Zeitpunkt selbst festzulegen."

"Da kann man schon mal in Panik verfallen"

"Neues Deutschland": "Die Abwahl Kauders ist gleich in zweifacher Hinsicht ein Alarmsignal. Erstens ist Kauder ein enger Vertrauter Merkels, der ihr immer treu zur Seite stand. Und zweitens führte er die Unionsfraktion dem Vernehmen nach mit zunehmend harter Hand. (...) Ein Feldwebel im Auftrag der Kanzlerin sollte aber ein Fraktionsvorsitzender nicht sein, sondern viel eher ein Verteidiger der Rechte und Freiheiten von Abgeordneten. In ersten Reaktionen war davon die Rede, dass nun endgültig der Anfang von Merkels Ende eingeläutet sei. Das mag sein, aber die dahintersteckende Krise reicht weiter. Der Union wird endgültig bewusst, dass nicht nur die SPD, sondern auch sie selbst dabei ist, den Status und damit den Rückhalt einer Volkspartei zu verlieren. Da kann man schon mal in Panik verfallen."

"Straubinger Tagblatt": "Der Wechsel von Kauder auf Brinkhaus bedeutet nun kein sofortiges Ende von Merkels Kanzlerschaft. Doch nun übernimmt eine neue Generation in der CDU die Schalthebel der Macht. Sie verkörpert eine junge, moderne, aber auch konservativere Union, die den Linkskurs unter Merkels Ägide beenden und zumindest in Teilen rückgängig machen will. Der Wunsch nach Erneuerung ist spürbar und Merkels Autoritätsverlust mit Händen zu greifen. Womöglich wird auch Merkel nicht der politische Gegner zum Verhängnis. In ihrem Schatten haben wohl weit mehr Parteifreunde Stellung bezogen, als ihr lieb sein kann."

Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät zunehmend unter Druck

Im Video: "Merkel will nichts beschönigen: "In der Demokratie gibt es auch Niederlagen"

fin DPA AFP

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