Krieg in der Ukraine Angebliches Enthauptungsvideo: Wagner-Deserteur will Ex-Kameraden als Täter erkannt haben

Auf dem mutmaßlichen Enthauptungsvideo will er Wagner-Kämpfer erkannt haben: Andrej Medwedew
Andrej Medwedew kämpfte in der Ukraine in den Reihen der Wagner-Söldner. Im Januar gelang ihm die Flucht nach Norwegen. Auf dem mutmaßlichen Enthauptungsvideo will er Wagner-Kämpfer erkannt haben
© Screenshot VK/Andrej Medwedew
In der Ukraine sollen russische Soldaten einen Mann grausam geköpft und ihr Verbrechen auf Video festgehalten haben. Die Echtheit der Aufnahmen lässt sich bislang nicht überprüfen. Ein ehemaliger Wagner-Söldner behauptet aber, Kämpfer der Truppe zu erkennen. 

Russische Soldaten sollen im Krieg in der Ukraine einen gegnerischen Soldaten geköpft haben. Seit Dienstag werden Aufnahmen, die die blutige Hinrichtung zeigen sollen, auf den Telegram-Kanälen russischer Neo-Nazis verbreitet. Ein Video zeigt unter anderem, wie ein Mann in Uniform einem anderen den Kopf abschneiden soll. Ob die Aufnahmen echt sind, lässt sich bislang nicht feststellen. Auch nicht, wo und wann sie entstanden sein könnten. Doch allein der Verdacht, die Aufnahmen könnten ein wahres Verbrechen zeigen, löst international Entsetzen aus.

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Nun soll ein Deserteur der Söldnergruppe Wagner auf den Aufnahmen ehemalige Kameraden identifiziert haben. Das sagte der Gründer der russischen Bürgerrechtsorganisation Gulagu.net, Wladimir Ossetschkin, in einem Interview mit dem Team des Exilanten Michail Chodorkowski aus. 

Deserteur erkennt angeblich Wagner-Kampfnamen

Andrej Medwedew diente vier Monate lang in den Reihen der Wagner-Söldner. Im vergangenen Januar gelang ihm die Flucht nach Norwegen. (Der stern berichtete.) "Wir haben uns mit ihm in Verbindung gesetzt. Er hat sich das Video mehrmals aufmerksam angehört und angeschaut. Er erkennt dort eindeutig seine früheren Kollegen, Kämpfer der Söldnertruppe Wagner", berichtete Ossetschkin. 

Vor allem die "charakteristischen Kampfnamen" und die Redeweise der Männer auf den Aufnahmen hätten Medwedew zu dieser Schlussfolgerung gebracht. Auch der Inhalt ihrer Kommunikation über den Funk würden als Anhaltspunkt dienen. "Als ein Mann, der selbst bei Wagner war, ihre Kampfnamen und Codes kennt, behauptet er felsenfest, dass Kämpfer der illegalen Söldnertruppe Wagner an dieser Hinrichtung (...) beteiligt waren."

Eigeninteresse hinter Aussage möglich 

Ossetschkins Organisation Gulagu.net setzt sich in erster Linie für die Rechte russischer Häftlinge ein, deckte zuletzt massenhafte Folter in den Gefängnissen Russlands auf. Die Organisation betreut aber auch ehemalige Soldaten und Söldner, denen die Flucht aus Russland ins Ausland gelungen ist. 

Medwedew war nach seiner Flucht gemäß dem norwegischen Einwanderungsgesetz festgenommen worden. Später wurde er in Norwegen wieder freigelassen, einige Wochen später aber im Nachbarland Schweden wegen unerlaubter Einreise inhaftiert. Die Frage, ob man russischen Soldaten Asyl gewähren soll, ist hochbrisant und sehr umstritten. Es ist daher nicht auszuschließen, dass Medwedew sich mit seiner Aussage als eine wertvolle Informationsquelle für die europäischen Behörden zeigen will. 

Warum tauchte das Enthauptungsvideo jetzt auf?

Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung der Aufnahmen wirft Fragen auf. Auf den Videos ist eine grüne Vegetation zu erkennen. Als möglicher Aufnahmezeitpunkt gilt daher der Sommer. Warum wurden die Videos also erst jetzt in Umlauf gebracht, sollten sie echt sein? Dazu gibt es zwei Versionen. Zum einen könnte dahinter eine Taktik der Wagner-Söldner stecken. Die Vermutung ist, dass solch belastende Materialien erst verbreitet werden, wenn die Beteiligten an dem jeweiligen Verbrechen desertiert oder getötet worden sind. Bei diesem Vorgehen gefährdet man nicht die eigenen Soldaten, erfüllt aber gleichzeitig das Ziel, Angst und Schrecken zu verbreiten. 

Quellen in der Wagner-Truppe bestärkten gegenüber Ossetschkin diese Theorie. "Mehrere aktive und ehemalige Kämpfer der Wagner-Söldnertruppe haben uns erzählt, dass diese und andere Hinrichtungen von dem Wagner-Kommandeur Dmitri Utkin sanktioniert worden sind, um die ukrainischen Streitkräfte zu erzürnen", schreib er auf Facebook. Hintergrund soll die vermehrte Gefangennahme russischer Soldaten sein, in die sie sich freiwillig ergeben. Mit dem angeblichen Hinrichtungsvideo sollen nach Aussage dieser Quellen die ukrainischen Streitkräfte dazu gebracht werden, die Bedingungen für die Gefangen unerträglich zu machen. Die russischen Soldaten sollen wieder Angst haben, in ukrainische Gefangenschaft zu geraten.   

Von ukrainischer Seite zugespielt? 

Der Hintergrund für die Veröffentlichung der blutigen Aufnahmen könnte jedoch auch ein gänzlich anderer sein. Hier liefert der Mann, der als eine der ersten das Video verbreitet hat, einen Hinweis: der russische Ultra-Nationalist Wladislaw Pozdniakow. Er war bereits im vergangenen Sommer auf eine ukrainische Ente hereingefallen. Damals verbreitete er ein Video, das vermeintlich tote ukrainische Soldaten an einem Flussufer gezeigt hat. Ein ukrainischer Sender publizierte kurz darauf die vollständigen Aufnahmen. Sie zeigen, wie die vermeintlich ermordeten Männer wieder aufstehen. Das gefälschte Video war Pozdniakow von der ukrainischen Seite zugespielt worden. 

Der Zeitpunkt der Veröffentlichung könnte also darauf hindeuten, dass die Aufnahmen nun gezielt in Umlauf gebracht worden sind, um etwa die dringend benötigten Waffenlieferungen an die Ukraine zu beschleunigen. 

Selenskyj ruft zur Beschlagnahmung russischen Vermögens auf

Kiew zweifelt jedenfalls nicht an der Echtheit der Aufnahmen. Wolodymyr Selenskyj rief nach der Veröffentlichung des Videos bei einer Veranstaltung in Washington zu einer Schweigeminute auf. "Ich bitte Sie nun, mit einer Schweigeminute des ukrainischen Soldaten zu gedenken, dessen Tod wir gestern alle miterlebt haben", sagte der per Video zugeschaltete Selenskyj bei einem Runden Tisch zur Ukraine während der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank.

"Die Ukraine durchlebt derzeit einen Sturm der Gefühle", sagte der ukrainische Präsident. Die russische Armee versuche, dieses Ausmaß an Gewalt und Gräueltaten überall in der Ukraine zur Routine werden zu lassen und sei stolz darauf.

Selenskyj rief in Washington zudem dazu auf, Vermögenswerte des russischen Staates zu beschlagnahmen und seinem Land für den Wiederaufbau zur Verfügung zu stellen. "Russland muss den vollen Preis für seine Aggression spüren", sagte Selenskyj. 

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